Die Gegenwart im Raum entziffern

Direktor Thomas D. Trummer präsentierte das KUB-Programm für das Jahr 2026.
Bregenz Der Auftakt zur Programmpräsentation stand im Zeichen des Kinos: „Vorgestern war Wim Wenders bei uns und filmte ein Gespräch zwischen dem KUB-Architekten Peter Zumthor und dem Historiker Karl Schlögel, der vor rund zwanzig Jahren jenes inzwischen klassische Buch mit dem schönen Titel veröffentlichte: ‚Im Raume lesen wir die Zeit‘. Darin schlägt er vor, Geschichte nicht als bloße Abfolge von Daten und Ereignissen zu begreifen, sondern als etwas, das sich im Raum niederschlägt, in Städten, Landschaften, Flüssen, Verkehrswegen, in der Topografie selbst. Dieser Gedanke könnte auch für uns ein Leitmotiv sein. Wir sind kein Museum, wir arbeiten nicht mit historischen Epochen. Unsere Stärke ist es, im Raum die gegenwärtige Zeit zu lesen, so wie sie von Künstlerinnen und Künstlern wahrgenommen, durchgearbeitet und sichtbar gemacht wird.“

Den Auftakt macht am 31. Januar 2026 die südkoreanische Künstlerin Koo Jeong A, die mit Licht, Temperatur, Duftstoffen, Magnetfeldern und phosphoreszierenden Materialien arbeitet. Ihre Installationen verschieben die Wahrnehmung an den Rand des Fassbaren. In den architektonisch reduzierten Räumen des Kunsthauses, die auf akustische und atmosphärische Resonanz ausgelegt sind, erhält diese Arbeit eine zusätzliche Konzentration. Es geht nicht um Spektakel, sondern um Aufmerksamkeit, um die Erweiterung sensorischer Möglichkeiten durch minimale Eingriffe. Koo Jeong A gehört zu den wenigen Künstlerinnen ihrer Generation, die Materialität und Ephemeres konsequent zusammendenken, ohne in ästhetische Beliebigkeit zu kippen.

Im Sommer folgt Cyprien Gaillard (13. Juni bis 4. Oktober). Der französische Künstler bringt ein vollständig anderes Vokabular mit. Architektur, Urbanität, Verfall und Erinnerung sind seine Themen, die er in Filmen, Skulpturen und raumgreifenden Installationen bearbeitet. In München war zuletzt sein Film „Retinal Rivalry” zu sehen, eine Collage aus deutscher Geschichte, romantischer Malerei, Massenevents und Ruinenlandschaften. Gaillard mischt historische Zitate mit dokumentarischem Material, ohne zwischen Kunstgeschichte und Gegenwart zu unterscheiden. Ein von ihm entwickeltes Hologramm, das auf einer Figur von Max Ernst basiert, wurde 2019 in Venedig gezeigt: ein bewegliches Trugbild, das sich aus der Fläche in den Raum schiebt. Für Bregenz ist ein neues Projekt angekündigt. Inhaltlich ist noch wenig bekannt, aber Gaillards Werk deutet darauf hin, dass es erneut um Transformationen gehen wird, räumlich wie medial.


Vom 17. Oktober 2026 bis zum 24. Januar 2027 folgt Torkwase Dyson. Die US-amerikanische Künstlerin verbindet Raumkonzepte mit politischer Geografie. Ihre Skulpturen wirken auf Fotografien monolithisch, doch vor Ort entfalten sie eine überraschende Materialität: dünne Metallplatten, fragile Farbschichten und präzise gesetzte Linien. Dyson denkt Architektur als Codierung gesellschaftlicher Verhältnisse und entwirft Gegenmodelle. Dabei spielt der Begriff der Raumgerechtigkeit eine zentrale Rolle. In Bregenz wird es nicht um die Illustration politischer Inhalte gehen, sondern um eine Formensprache, die strukturelle Gewalt sichtbar macht, ohne sie abzubilden.

Ergänzt wird das Ausstellungsjahr durch eine Intervention im öffentlichen Raum. Florentina Holzinger wird im August 2026 eine Performance mit dem Titel Étude bei den Seeanlagen in Bregenz realisieren. Holzinger, die auch den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielt, operiert mit Mitteln der Körperkunst, des Theaters und des Tanzes. Ihre Arbeiten setzen auf physische Direktheit und thematisieren Geschlechterrollen, Gewalt, Sexualität und religiöse Prägung.

Vielen noch in Erinnerung ist ihre großartige Opern-Produktion „Sancta“ in Stuttgart. In Bregenz wird sie mit dem öffentlichen Raum als Bühne arbeiten. Die Grenze zwischen Performance und Umgebung, zwischen Kunst und sozialer Interaktion dürfte dabei bewusst unscharf gehalten werden.

Mit dem Programm für 2026 bekräftigt das Kunsthaus Bregenz seine Ausrichtung auf künstlerische Positionen, die nicht repräsentativ sein wollen, sondern Prozesse auslösen sollen. Es ist kein gefälliges Line-up. Aber eines, das mit klarem Konzept, intelligenter Auswahl und formaler Konzentration überzeugt. Zeit, Raum, Körper sind die Koordinaten. Die Kategorien: Licht, Oberfläche, Schwerkraft. Der Begriff der Gegenwart ist dabei nicht als Zeitangabe, sondern als ästhetischer Zustand zu verstehen.