Ein Tunnel als Textkörper: „Was uns bewegt“

Kultur / 05.12.2025 • 13:59 Uhr
Ein Tunnel als Textkörper: „Was uns bewegt“
Marbod Fritsch gestaltete aus 118 Einsendungen ein 40 Meter lange Glasfäche.Roland Paulitsch

Eröffnung der neuen Bahnunterführung in Wolfurt mit einem Kunstwerk von Marbod Fritsch.

Wolfurt Am 2. Dezember 2025 hat Wolfurt seine neue Bahnunterführung beim Bahnhof nicht nur als funktionales Bauwerk, sondern auch als öffentlichen Kunstraum eröffnet. Auf mehr als vierzig Metern Glasfläche entfaltet sich unter dem Titel “Was uns bewegt” ein Werk des Künstlers Marbod Fritsch, das den täglichen Weg der Passantinnen und Passanten quasi in einen Leseraum verwandelt. Ausgangspunkt ist dabei nicht ein einzelner Autor, sondern eine Vielzahl von Stimmen aus der Gemeinde.

In einem öffentlichen Aufruf waren Bürgerinnen und Bürger eingeladen, einen Satz einzureichen, der sie im wörtlichen und übertragenen Sinn bewegt: ein Gedanke, ein Erinnerungsmoment, ein persönliches Zitat. Es gingen 118 Einsendungen ein, die von sehr persönlichen Bekenntnissen bis zu Formulierungen, die an Sprüchekalender erinnern, reichen. Aus diesem sprachlichen Rohmaterial entwickelte Fritsch eine typografische Textlandschaft, die sich wie ein Band entlang der Glasflächen der Unterführung zieht.

Fritsch wollte ursprünglich einen anderen Weg einschlagen. Ausgangspunkt hätte ein Statement des Wolfurter Schriftstellers Arno Geiger sein sollen. Da dieser jedoch in ein anderes Projekt eingebunden war, verwarf Fritsch die Idee wieder. Die Abkehr von der prominenten Einzelstimme führte ihn zu einem partizipativen Ansatz, bei dem die Wolfurter Bevölkerung im Mittelpunkt steht.

Ein Tunnel als Textkörper: „Was uns bewegt“
Roland Paulitsch

Im Zentrum seiner Überlegungen stand die Frage nach dem Charakter dieses Ortes. Die Unterführung ist ein Ort, an dem sich niemand länger aufhält. Menschen gehen zu Fuß hindurch, schieben das Fahrrad oder eilen zum Zug. Zu dieser physischen Bewegung wollte Fritsch eine weitere Bewegung hinzufügen. Er entschied sich gegen ein geschlossenes eigenes Statement und für eine offene Frage an viele.

Die Gestaltung erinnert an digitale Codes und Strukturen genetischer Information. Lesbare Textfragmente wechseln sich mit grafischen Zeichen und abstrakten Sequenzen ab. Einzelne Sätze blitzen deutlich hervor, während sich andere in ein dichteres Muster einfügen. So entsteht ein Gefüge, in dem individuelle Aussagen ihren Platz behalten und dennoch Teil eines kollektiven Bildes werden.

Technisch setzt Fritsch auf eine eigens entwickelte Typografie, die an den Teletext erinnert. Die Schriftzüge wurden auf farblich abgestimmte Glasflächen übertragen. Je nach Tageszeit, künstlicher Beleuchtung und Bewegung der Vorübergehenden verändert sich der Eindruck. Wer schnell vorbeigeht, nimmt vielleicht nur Farbflächen und Zeichen wahr. Wer stehen bleibt, kann Textinseln entdecken, die sich mit eigenen Erfahrungen verbinden lassen. Die Unterführung wird so zu einem Ort der Reflexion und einer kurzen Unterbrechung im Alltag.

Dieses Projekt wurde durch die Gemeinde Wolfurt ermöglicht, die damit Kunst im öffentlichen Raum dort platziert, wo täglich viele Menschen vorbeikommen. Die Unterführung verbindet damit nicht nur zwei Seiten der Bahntrasse, sondern auch viele individuelle Stimmen zu einem gemeinsamen Text, der im Vorübergehen gelesen werden kann.