Ein Abend mit Arvo Pärt und Jean Sibelius

Beim 2. Bregenzer Meisterkonzert gastiert das Estonian National Symphony Orchestra.
Bregenz Kurz vor Weihnachten öffnet sich am Freitagabend um 19.30 Uhr im Bregenzer Festspielhaus ein Raum der Stille, der Weite und der nordischen Konzentration. Das Estonian National Symphony Orchestra gastiert unter der Leitung seines Chefdirigenten Olari Elts zum zweiten Meisterkonzert der Saison mit einem Programm, das Raum für Kontemplation bietet.

Der Abend beginnt mit Arvo Pärts „Cantus in Memoriam Benjamin Britten”, einem Werk, das nicht nur dem britischen Komponisten gewidmet ist, sondern auch Pärt selbst zu seinem 90. Geburtstag eine subtile Reverenz erweist. Die 1977 uraufgeführte Komposition markiert einen Wendepunkt im Schaffen des estnischen Komponisten. Nach Jahren des Schweigens und der künstlerischen Neuorientierung entwickelte Pärt die sogenannte Tintinnabuli-Technik, eine reduzierte Klangsprache, geprägt von strenger Konstruktion und gleichzeitig ungewöhnlicher Klarheit.
Der Cantus basiert auf einem absteigenden A-Moll-Dreiklang, den die Streicher in unterschiedlichen Tempi durchlaufen. Eine Glocke mit tiefer Frequenz strukturiert das Geschehen, ohne dominierend zu wirken. Der Klang verdichtet sich langsam, ohne äußeren Druck. Am Ende steht ein einziges Glockennachhallen, eine Form des stillen Gedenkens, die auf alles Überflüssige verzichtet. Pärts Musik verweigert sich äußerer Wirkung. Sie schafft einen Rahmen, in dem sich Erinnerung, Verlust und ein Gefühl für das Wesentliche formulieren lassen.

Nach diesem verhaltenen Auftakt folgt mit Jean Sibelius’ Violinkonzert ein Werk, das aus der Stille emporsteigt. Die Solistin des Abends, Simone Lamsma, verbindet analytische Klarheit mit gestalterischem Feinsinn. In Sibelius’ Solokonzert trifft sie auf ein Gegenüber, das keine Bühne für virtuose Selbstinszenierung bietet. Die Solostimme ringt nicht um Glanz, sondern um Durchlässigkeit. Sie tastet und sucht und wird dabei immer wieder vom Orchester aufgegriffen, das seinerseits nicht nur begleitet, sondern dialogisiert.
Der eröffnende Einsatz der Geige scheint aus dem Nichts zu kommen. Im Adagio spannt Sibelius eine innere Szene auf, die ohne große Geste auskommt. Die Violine erzählt, das Orchester antwortet, zurückhaltend, aber hörbar. Das Finale steigert sich zu einem rauen Tanz, dessen Energie weniger von technischer Brillanz als von rhythmischer Entschiedenheit lebt.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Nach der Pause steht Sibelius’ 2. Sinfonie auf dem Programm, ein Werk, das häufig als musikalische Manifestation finnischer Identität gelesen wird, ohne dass sich dies auf eine Programmatik reduzieren ließe. Sibelius arbeitet mit kleinsten motivischen Bausteinen, aus denen sich organisch wachsende Strukturen entfalten. Der erste Satz bleibt spannungsvoll zurückhaltend, im zweiten entstehen erzählende Linien, die sich in den dunkleren Registern des Orchesters entwickeln. Das Scherzo bringt Bewegung, wird aber durch das Trio unterbrochen, das durch seine Gelassenheit auffällt. Das Finale kulminiert in einem Thema von weit ausschwingender Ruhe, das ohne Pathos auskommt und dennoch eine innere Kraft entwickelt, der man sich kaum entziehen kann.
Das Estonian National Symphony Orchestra gilt als Ensemble mit transparenter Klangkultur und präziser Gestaltung. Unter der Leitung von Olari Elts verspricht die Kombination der Werke zweier Komponisten, deren Musik aus Konzentration und Maß hervorgeht, eine eindringliche Begegnung mit nordischem Repertoire. Ein Konzertabend, der nicht auf Effekte, sondern auf Genauigkeit setzt und gerade dadurch nachwirken könnte.