„Der Abend wechselt langsam die Gewänder“

Kultur / 30.12.2025 • 13:47 Uhr
2.jpg
Hubert Dragaschnig gestaltete gemeinsam mit Herwig Hammerl, Isabella Pincsek, Monica Tarcsay und Bianca Riesner einen Rilke-Abend. Andreas Marte

Lesung und Musik zum 150. Geburtstag Rainer Maria Rilkes im Theater Kosmos.

Bregenz Anlässlich des 150. Geburtstags von Rainer Maria Rilke widmete das Theater KOSMOS am 28. und 29. Dezember zwei Abende einer Lesung mit musikalischer Begleitung, die weit mehr war als eine bloße Jubiläumsveranstaltung. Es handelte sich um eine sorgfältig komponierte Annäherung an einen Dichter, dessen Sprache bis heute lebendig geblieben ist, dessen Bilder nachwirken und dessen Sätze sich dem schnellen Zugriff entziehen. Im Zentrum stand die Stimme von Hubert Dragaschnig, der Rilkes Texte nicht einfach vortrug, sondern ihnen Raum ließ. Ruhig und konzentriert tastete er sich mit einer stellenweise fast brüchigen, dabei stets sonoren Stimme durch Gedichte und Prosa, ohne Pathos und ohne Überhöhung. Dragaschnig las, um die innere Bewegung der Texte freizulegen, nicht um Effekte zu erzielen. Gerade diese Zurückhaltung verlieh dem Vortrag seine Eindringlichkeit. Rilkes Sprache durfte atmen, stocken und sich entfalten.

471700(1).jpg
DPARainer Maria Rilke wäre am 4. Dezember 150 Jahre alt geworden.

Eine zweite, gleichwertige Erzählebene bildete die Musik von Herwig Hammerl, der nicht nur den Kontrabass spielte, sondern auch sämtliche Kompositionen des Abends beisteuerte. Hammerls Musik suchte bewusst die Nähe zu Rilkes Zeit. Die Stücke wirkten, als könnten sie um 1900 entstanden sein, ohne historisierend zu wirken. Sparsam gesetzt, konzentriert geführt und von einer inneren Dynamik getragen, verliehen sie den Texten zusätzliche Resonanz. Gemeinsam mit Isabella Pincsek am Klavier, Monica Tarcsay an der Violine und Bianca Riesner am Cello entstand ein kammermusikalisches Geflecht, das die Texte nicht einfach begleitete, sondern umspielte, kommentierte und stellenweise bewusst kontrastierte.

1.jpg
Andreas Marte

Der literarische Bogen war weit gespannt. Neben Prosa aus den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ von 1910, jenem radikal modernen Wahrnehmungsbuch, in dem Rilke in seinem einzigen Roman das Ich der Großstadt aussetzt, erklangen Gedichte aus nahezu allen Werkphasen. Besonders eindrucksvoll war die Gegenüberstellung der frühen, noch stark innerlich gefärbten Texte mit den späteren Ding-Gedichten und den existenziellen Verdichtungen der mittleren Jahre. Zu hören war unter anderem ein Sonett aus den „Sonetten an Orpheus“, in denen Rilke Gesang, Verwandlung und Tod ineinander verschränkt, sowie das Gedicht „Erinnerung“, das mit seinem Motiv der unerfüllten Erwartung und der rückblickenden Erkenntnis einen stillen, schmerzhaften Ton anschlug. Der berühmte „Archaische Torso Apollos“ wirkte in Dragaschnigs Vortrag weniger wie eine ästhetische Zumutung als wie eine leise, aber unmissverständliche Aufforderung zur Selbstprüfung. Auch Texte aus dem „Stunden-Buch“ fanden ihren Platz, darunter Gedichte aus dem Buch vom mönchischen Leben und dem Buch von der Pilgerschaft, etwa „Die Einsamkeit“, in dem Einsamkeit nicht als seelischer Zustand, sondern als Naturereignis erscheint. Mit „Der Panther“ erschien eines der bekanntesten Gedichte Rilkes nicht als das vertraute Schulgedicht, sondern als konzentrierte Form des Sehens.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.

Weitere Stationen des Abends waren „Traumgekrönt“, „Liebes-Lied“, “Die Könige der Welt sind alt“, „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“, „Der König“, „Der Abend“, „Der Tod ist groß“, „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen„, “Ich ließ meinen Engel lange nicht los“ und schließlich „Du musst das Leben nicht verstehen“, ein Gedicht, das mit seiner stillen Gelassenheit einen beinahe tröstlichen Schlusspunkt setzte. So entstand im Theater KOSMOS ein lebendiger Dialog mit einem Dichter, dessen Texte sich jeder endgültigen Festlegung verweigern. Literatur und Musik begegneten einander aufmerksam, respektvoll und auf Augenhöhe.