Er war einmal ein hoher Baum, ein Mammutbaum

Er hat mich 40 Jahre lang begleitet. Eine seiner Bewunderer:innen hat die Jahresringe am gefällten Stamm gezählt. Immer wenn ich aus meiner Haustüre trat, traf ihn mein erster Blick. Er imponierte in seiner Eleganz und Größe, seine Haltung war kerzengerade, und er strotzte nur so vor gesundem Grün. Aber überaus bescheiden, so schien es, stand er hinter einer Mauerecke, nahe einer Grundstücksgrenze, um nicht für jemanden, der ihm vielleicht nicht so wohl gesonnen war, ein störender Faktor zu werden und um sein Leben fürchten zu müssen. Er hatte noch ein langes Leben vor sich. Sein bloßes Dasein neben dem großen Autoparkplatz eines Supermarktes war eine wahre Augenweide in dem tristen Grau. Am Mittwoch war es dann soweit. Ein mit Kettensägen ausgestatteter Trupp bereitete seinem langen und so viele Menschen erfreuenden Leben den Garaus. Nicht einmal eine Minute dauerte es, bis sein Leben endgültig ausgelöscht war. Die Kettensägen haben gute Arbeit geleistet. Das Bemühen der Anrainer:innen um eine Schonung des Baumes war wie so oft vergeblich. Sie und ich werden ihn vermissen. Wir brauchen eine Baumschutzverordnung in Vorarlberg, auch für private Grundstücke.

Wilma Flatz, Lochau