Angst vor der Abschiebung und „Stille Nacht“
Wer welches Lied mitsingt oder nicht mitsingt, kann Folgen haben – oder eben nicht. Meistens hat es auch mit der tonangebenden politischen Partei zu tun. Je nachdem kann gesungen werden, was eigentlich nicht gesungen werden darf. Aber es darf nicht einfach zugehört werden, wo die Nationalhymne angestimmt wird. Abschiebegefahr hängt in der Luft. Immer wieder nehmen wir sie wahr. Oder auch nicht. In den Betroffenen löst das Existenzängste aus.
Abschiebungsprogramm
Über 50 Jahre litten die Menschen in Syrien unter einer Diktatur. Vor zwei Wochen musste der jetzige Diktator sein Land verlassen, nachdem er in 13 Jahren 14 Millionen Menschen zur Flucht gebracht, Familien auseinandergerissen und den Tod einer halben Million Menschen auf dem Gewissen hat.
Durch den Bürgerkrieg ließ er Städte und Dörfer zerstören. Plötzlich war er weg. Und was war die erste Reaktion von höchster politischer Stelle: Abschiebung. So etwas ist zum Ko…mmentieren, auch von der Kirche. Gott sei Dank hat Kardinal Christoph Schönborn die Stimme erhoben: „Bestürzt hat mich die Reaktion unserer Bundesregierung. Statt Worte der Mitfreude und Hoffnung für die leidgeprüften Menschen war eine der ersten Meldungen ,Abschiebungsprogramm’!“
Sind wir uns bewusst, in welche Ängste damit Menschen mitten unter uns gestürzt werden? Politiker, die sich so äußern, haben offensichtlich wenig verstanden vom Menschen und von der Situation in Syrien. Sie nehmen nicht wahr, dass Syrien immer noch im Kriegszustand ist. Bis jetzt wird Syrien von Israel aus bombardiert und Landstriche werden besetzt. Im Norden Syriens kämpfen auch heute noch in den Dörfern und Städten von der Türkei unterstützte Rebellen gegen von den USA unterstützte Rebellen. Wenn es Syrien schafft, in einem Jahr so miteinander auf dem Weg zu sein, dass viele Menschen aus Syrien sicher in ihre Heimat zurückkehren können, dann ist das Land ein Vorbild für alle Nationen – auch für Österreich. Beten wir, dass ihre und unsere Politikerinnen und Politiker ein Herz für die Menschen in Not haben.
Gering in unseren Augen
„Es gibt viele Formen, Menschen zu beleidigen. Eine davon ist, sie nicht wahrzunehmen“ (Fulbert Steffensky). Der Gefahr, so zu handeln, können wir alle immer wieder erliegen. Aber auch die Gefahr gibt es bei uns allen, auf solche Weise beleidigt zu werden. Diese Erfahrung macht auch Gott in unserer Mitte. An Weihnachten werden wir das öfters hören: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Jesus Christus will heute besonders in denen aufgenommen werden, die in unseren Augen gering sind (vgl. Mt 25). Dementsprechend heißt es zu Beginn der Schweizer Bundesverfassung: „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwächsten.“ Das ist eine große Herausforderung, die uns an Weihnachten zugemutet wird. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man in einer selbst gewählten Festungsmentalität Weihnachten feiern kann (und damit meine ich mehr als Glühwein trinken und glitzernde Girlanden am Balkon haben …). Weihnachten ist Gottes Gegenwart in unserer Mitte. „Über der Krippe ist bereits das Kreuz sichtbar“, schreibt die heilige Edith Stein.
Stille Nacht
Von dieser Dramatik erzählen die meisten unserer Weihnachtslieder leider nichts. Im bekanntesten der jetzt erklingenden Gesänge ist vielmehr die Sprache vom holden Knaben im lockigen Haar. Was passiert, wenn ich da nicht mitsinge? Und wenn wir das in der Propstei St. Gerold in der Heiligen Nacht sogar gestrichen haben? Keine Angst: Das haben nicht etwa die mit uns eng befreundeten Menschen aus Syrien gefordert. Die vertraute Melodie erklingt auch bei uns. Aber wir singen dazu den Text der dichtenden Nonne Silja Walter (1919-2011). Im Schweizer Kirchengesangbuch sind beide Texte angeführt. Selbstverständlich wählen die meisten den gewohnten Text – weil es immer so war … Aber bringt der neue Text das Gemeinte nicht weit besser zum Ausdruck? Er legt uns das Weihnachtsgeheimnis mit biblischen Bildern ans Herz. Dieses Fest soll schließlich unser ganzes Leben prägen. Denn nie und nimmer soll es geschehen, dass Jesus Angst haben muss, von uns abgeschoben zu werden – besonders nicht in der Zeit, in der wir „Stille Nacht“ hören oder singen.
