Spitalsreform aus medizinanthropologischer Perspektive
Gesundheit, Krankheit, Leiden und Tod sind in allen Gesellschaften und Kulturen zentrale Themen. Geprägt werden diese sowohl durch einen naturwissenschaftlichen (schulmedizinischen) als auch durch einen ethnomedizinischen (traditionelle Medizinsysteme) Hintergrund. Jedenfalls handelt es sich überall um spezialisierte Wissensgebiete, entsprechende Expertise ist unterschiedlich verteilt und zumeist in irgendeiner Form hierarchisiert. Medizinische Denk- und Handelsweisen beinhalten auch kulturelle, soziale, politische und ökonomische Dimensionen, die es zu verstehen gilt. Hierfür ist ethnologische Nähe zu den betroffenen Menschen erforderlich. Diese kann nur durch intensive Bemühungen erreicht werden. Erforderlich sind teilnehmende Beobachtung, informelle Gespräche, strukturierte Interviews, Kontextanalyse und besonders situierte Erfahrungen, um eine Innensicht (emische Sicht) aus der Perspektive aller Betroffenen zu erhalten. Gewachsene und bewährte Strukturen, mit viel Engagement und Herzblut errichtet, verwirklicht und bewährt, können nicht einfach verlagert werden. Medizinische Kompetenzbündelung und Sparsamkeit sind nur zwei Dimensionen des Problems, aber als alleinige Entscheidungsgrundlage zu wenig. Der „menschliche Faktor“ darf bei diesen „Reformen“ keinesfalls vergessen werden. Schließlich geht es in erster Linie um die Menschen, für die das Gesundheitssystem gestaltet werden muss. Eine frühzeitige und umfassende Kommunikation auf Augenhöhe mit allen Betroffenen ist hierfür unumgänglich!
Dr. Dietmar Striberski, FA f. Innere Medizin, Bludenz (Dzt.: Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien)