Sozialhilfe wohl Fall für Justiz

Vorarlberg / 22.06.2017 • 19:11 Uhr
VN-Bericht vom 25. März 2017.
VN-Bericht vom 25. März 2017.

Volksanwalt befürchtet, dass neue Mindestsicherung gegen die Verfassung verstößt.

Bregenz. Die Vorarlberger Mindestsicherung könnte als Lehrbeispiel eines Gesetzgebungsprozesses in die Geschichtsbücher eingehen. Nicht nur was die Erstellung betrifft, sondern auch, wie Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden. Denn der Verfassungsbericht könnte sich bald damit befassen. Landesvolksanwalt Florian Bachmayr-Heyda könnte jedenfalls die Verordnung vor das Höchstgericht bringen.

Das Lehrbeispiel begann, als sich die Bundesländer vor einem Jahr nicht auf eine neue gemeinsame Mindestsicherung einigen konnten. Darauf musste jedes Land eigene Regeln finden. Auch die schwarz-grüne Landesregierung startete die Verhandlungen und einigte sich schließlich auf einen Kompromiss. Anschließend musste das Verhandlungsergebnis in einen Gesetzestext gegossen werden. In diesem Fall wurden lediglich die Rahmenbedingungen per Gesetz festgelegt. Die Details fanden sich in einer Verordnung. Diese beschloss die Landesregierung am 13. Juni, also am Dienstag der Vorwoche. Am 1. Juli tritt sie in Kraft.

“Kaum berücksichtigt”

Das Thema könnte bald um ein Kapitel reicher sein. Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) hat die Verordnung begutachten lassen. Wie die VN berichteten, haben sich einige Organisationen kritisch geäußert; unter anderem die Caritas, die Armutskonferenz, der Landesrechnungshof und der Landesvolksanwalt. Letzterer machte die Landesregierung auf einige Punkte aufmerksam, die gegen die Verfassung verstoßen könnten. Am Mittwoch ging die endgültige Fassung der Verordnung online. Bachmayr-Heydas Fazit: “Eigentlich blieben die Stellungnahmen aller Organisationen unberücksichtigt. Bis auf ein paar Kleinigkeiten entspricht die Verordnung dem Entwurf.”

Die Staffelung der Mindestsicherung für Kinder hält Bachmayr-Heyda für besonders problematisch. Eine Familie mit drei Kindern erhält 184,01 Euro pro Kind an Sozialhilfe. Für das vierte Kind gibt es 126,6 Euro und ab dem siebten 101,30 Euro. Das Kindergeld des Bundes hingegen steigt pro Kind. “Das heißt, dass das Land das Gegenteil des Bundes macht“, stellt der Landesvolksanwalt fest. Das führe zu einer überproportionalen Anrechnung bei einkommensschwachen Familien, was gegen das Berücksichtigungsgebot verstieße. Bedenken bestünden auch in Hinblick auf das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, da bei allen Maßnahmen das Wohl der Kinder beachtet werden muss. Die neuen Richtsätze förderten jedoch nicht das Wohl der Kinder, es müsse eher mit stärkerer Kinderarmut gerechnet werden.

Gegen Gleichheitsgrundsatz

Auch der Deckel bei den Wohnkosten könnte gegen Verfassungsrecht verstoßen. Diese könnten eine plötzliche Kürzung der Mindestsicherung von über 20 Prozent bedeuten, was der Verfassungsgerichtshof bereits einmal aufgehoben hat. Zudem verstoße die WG-Pflicht für Asylberechtigte gegen Völker-, Unions-und Verfassungsrecht. Ein Asylberechtigter muss ab der Zuerkennung seines Status zwei Jahre im Asylheim bleiben, ansonsten erhält er 280 Euro fürs Wohnen. “Diese WG-Pflicht gilt ausnahmslos für Asyl- und Schutzberechtigte und verstößt damit gegen den Gleichheitsgrundsatz”, betont der Landesvolksanwalt. Für Asylberechtigte, die ihren Status vor dem 1. Jänner erhalten haben, gilt die Zweijahreswohnpflicht ab 1. Jänner 2017.

Bachmayr-Heyda will die Verordnung noch einmal genau prüfen und dann entscheiden, ob er den Verfassungsgerichtshof bemüht. Da seine Bedenken nach der Begutachtung nicht berücksichtigt wurden, stehen die Zeichen auf Anfechtung.

Stichwort

Mindestsicherung. Bei der neuen Mindestsicherung werden etwa die Wohnkosten gedeckelt: Eine Person erhält höchstens 503 Euro, zwei 595 Euro, drei 682 Euro, vier 712 Euro, fünf 742 Euro und ab sechs gibt es 772 Euro. Allerdings kann die BH bei Härtefällen mehr bezahlen. Zudem wurde ein WG-Tarif eingeführt. In Wohngemeinschaften – mit vielen Ausnahmen – erhält ein Sozialhilfeempfänger 473,58 statt 633,91 Euro. Außerdem werden Asylberechtigte verpflichtet, zwei Jahre in ihrer Unterkunft zu bleiben. Des Weiteren finden sich höhere Anreize für den Wiedereinstieg und die verpflichtende Integrationsvereinbarung für Asylberechtigte.