Spaniens Firmen geht es besser, den Bürgern nicht

Markt / 27.04.2014 • 18:04 Uhr

Der Wirtschaftsaufschwung in Spanien kommt die Menschen teuer zu stehen.

Madrid. Seit elf Jahren reinigt Carmen Collado Krankenhaus-Wäsche in Madrid. Während die Hälfte ihrer Kollegen inzwischen entlassen ist, macht die 61-jährige Großmutter immer noch das Gleiche: Sie wäscht Leintücher, Handtücher und OP-Hemden – bekommt dafür allerdings nur noch halb so viel Geld wie früher. Immerhin hat sie noch Arbeit. Dies ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem mehr als jeder Vierte einen Job sucht. „Im Winter musste ich die Heizung abstellen“, klagt die blonde Frau. „Ich schäme mich, es zuzugeben: Ich habe meine 91 Jahre alte Mutter gebeten, mir zu helfen, das Benzin und die Autoversicherung zu zahlen.“

Spanien stand vor zwei Jahren finanziell am Abgrund. Strukturreformen und ein harter Sparkurs brachten die Wende und kurbelten den Export wieder an. Firmen erhielten per Gesetz die Chance, Löhne zu kürzen und Arbeitsverträge zu ändern. Diese Reformen – auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise in der Eurozone von Politikern gern als alternativlos bezeichnet – haben in der spanischen Gesellschaft zu tiefgreifenden Veränderungen geführt.

Neue Unterschicht

Denn Niedriglöhner und Arbeitnehmer mit kurzfristigen Verträgen haben die Hauptlast der Gehaltskürzungen getragen. Damit entstand eine neue Unterschicht, die wohl für den Rest des Lebens kämpfen dürfte, um stabile Jobs zu bekommen. Nach Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) öffnete sich die Lohnschere zwischen 2007 und 2012 in keinem EU-Staat so stark wie in Spanien. Nach zwei Rezessionsjahren dürfte Spaniens Wirtschaft 2014 wieder um ein Prozent wachsen, in den Jahren zuvor war sie allerdings um sieben Prozent geschrumpft.

Der Export-Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt (BIP) Spaniens stieg binnen fünf Jahren von einem Fünftel auf ein Drittel. Doch das Wohl und Wehe der Wirtschaft hängt auch von den Ausgaben der Verbraucher ab. Und diese sanken seit dem Platzen der Immobilienpreisblase 2008 um mehr als elf Prozent.

Kritiker warnen, dass Spanien dank sinkender Löhne zu sehr auf Export-Erfolge nach deutschem Vorbild schielt und zu wenig den Konsum und die Investitionen fördert.

Ende vorigen Jahres arbeitete schon jeder sechste Beschäftigte Teilzeit, Mitte 2007 war es nur jeder neunte. Zudem laufen immer mehr Menschen Gefahr, trotz eines Arbeitsplatzes in Armut abzurutschen. „Ja, es ist gut, dass es Arbeit gibt. Aber um welchen Preis?“, fragt Teresa Cavero von der internationalen Hilfsorganisation Oxfam. Als jüngst Ikea 400 Jobs für ein neues Möbelhaus in Valencia ausschrieb, bewarben sich binnen weniger Tage über 20.000 Menschen und brachten die Computer-Server des schwedischen Konzerns zum Absturz.

Jobs, die früher verschmäht wurden, stehen mittlerweile hoch im Kurs. Daniel Gismero verdient als Straßenkehrer in Madrid 1100 Euro im Monat. Mit seinen Kollegen konnte er nach einem längeren Streik Lohnkürzungen von 40 Prozent verhindern. „Früher wollte niemand meine Arbeit machen. Es galt immer als Scheiß-Job und scheiße bezahlt“, sagt der 34-Jährige. „Jetzt fühle ich mich wie einer der Privilegierten.“