Der Idealist mit Sinn für Reales
„Der Idealist ist jemand, der selbstlos, dabei aber auch die Wirklichkeit teilweise außer Acht lassend, nach der Verwirklichung bestimmter Ideale strebt“, sagt der Duden. Genau dieses Engagement nötigt auch Menschen, die nicht nach denselben Idealen streben, Respekt ab. Zu Recht, denn Idealisten haben die Welt und Gesellschaft verändert und tun es bis heute.
Die Spezies „Idealist“ hat aber in den letzten Jahren eine Wandlung durchlebt: Durchaus gleich geblieben ist der Auftritt der Idealisten: Sie machen allen, die nicht ihre Auffassung teilen, klar, dass sie auf dem falschen Weg sind. Das schlechte Gewissen der anderen ist – wenn schon nicht ihr Lebensziel – so doch das Elixier, das sie am Leben hält. Das mag unangenehm sein, gehört aber zum Auftritt des Idealisten.
„Selbstlos, dabei aber auch die Wirklichkeit außer Acht lassend“: Diese Beschreibung stimmt nur noch sehr bedingt. Denn längst ist das Engagement nicht mehr selbstlos, sondern auch lukrativ: zum Beispiel Energie. Wer zur Tat schreitet und Photovoltaik, Wind und Wasserkraft für sich arbeiten lässt, pocht auf öffentliche Unterstützung. Das haben die einschlägigen Vereine, Interessengemeinschaften und Geschäftemacher als erstes gelernt. Mit dem erhobenen Zeigefinger lässt sich ganz gut Kohle machen.
Ohne Förderung geht nämlich gar nichts mehr: Aus Idealismus stellt sich längst niemand mehr ein Windrad auf sein Grundstück, im Gegenteil: Für Freiberufler waren die riesigen Windräder lange Zeit die bevorzugte Anlageform. Auch die Kraft des Wassers kommt ohne entsprechende Unterstützung der Öffentlichkeit nicht zur Geltung. Nicht einmal bei der individuellen Mobilität wollen „bewusste“ Radfahrer heute ohne Zuzupf der öffentlichen Hand noch in die Pedale treten. Förderung für E-Bike und E-Auto ist ein Muss.
Sie ist langfristig auch ein echtes Geschäft: Wo kann man schon den Mitbürgern den Spiegel vorhalten und auch noch abkassieren? Wie ernst es den Öko-Investoren ist, können sie jetzt ganz leicht zeigen. Wem es wirklich ernst ist mit seinem Engagement, der ist auch bereit, für seine selbsterzeugte, umwelt- und klimafreundliche Energie ein paar Cent mehr zu zahlen. Das Vorbild ist wichtig – oder?
Es wäre doch ein ganz starkes Zeichen, wenn man statt nun wieder Förderung einzufordern, sein Kraftwerkle selbst finanziert, statt jenen, die mit ihrer Steuerleistung die Mittel für die Förderung aufbringen, aber nicht so perfekt sind, ein schlechtes Gewissen zu machen.
Nur aus Idealismus stellt sich längst niemand mehr ein riesiges Windrad auf sein Grundstück.
andreas.scalet@vorarlbergernachrichten.at, 05572/501-862
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