Hannes Androsch

Kommentar

Hannes Androsch

Adventzeit und Herbergssuche

Markt / 18.12.2015 • 22:18 Uhr

Die Flüchtlingsproblematik ist das neue Krisenthema Europas. Diese ist eine Folge des Scherbenhaufens der Nahostpolitik nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches vor etwa 100 Jahren. Die unglückseligen kriegerischen Interventionen in Afghanistan, dann im Irak und schließlich in Libyen wurden zum Desaster. Millionen Menschen sind vor dem Inferno aus Gewalt, Zerstörung und Chaos auf der Flucht. Erst ein sehr kleiner Teil, vor allem aus Syrien, hat den Weg nach Europa gesucht.

Nach Italien und Griechenland, die man jahrelang alleine im Regen stehen ließ, schwappte heuer die Flüchtlingswelle auch auf die Balkanländer, nach Österreich und die Zielländer Deutschland und Schweden über. Trotz der Vorhersehbarkeit dieser Entwicklung reagierte Europa plan- und kopflos. Mit der Fortsetzung dieser Politik wird man aber ebenso wenig Herr der Lage werden, wie mit dem Bau von Zäunen oder einer „Festung Europa“. Vielmehr bedarf es endlich der Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik, eines europäischen Asylrechts und, wegen der geringen Geburtenrate bei einer alternden Gesellschaft, auch einer koordinierten Zuwanderungspolitik.

Nicht zuletzt unter diesem Aspekt müssen wir die Flüchtlinge in unserem Land willkommen heißen, auch wenn dies kurzfristig Probleme auslöst und viele Menschen die aktuelle Situation angesichts der staatlichen Hilflosigkeit als bedrohlich empfinden.

Offiziell werden zwar die europäischen Werte beschworen, tatsächlich aber vielfach das Gegenteil getan. Unser Land hat nach dem Ungarn-Aufstand, dem Ende des Prager Frühlings oder der Bosnien-Krise Flüchtlingen großzügig geholfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa 30 Millionen Flüchtlinge. Damals wurde trotz eigener Not geholfen, jetzt ist man offensichtlich überfordert. So fehlen bei uns vor Einbruch des Winters noch 15.000 Unterkünfte. Deren Vergabe wird durch engstirnigen Bürokratismus behindert. Gäbe es nicht die karitativen Organisationen oder die Hilfsbereitschaft zahlreicher Einzelpersonen, wäre die Situation längst eskaliert.

Die Advent(Ankunfts)zeit steht für die Bereitschaft, Herberge zu geben. Sie sollte uns zur Besinnung zu einem wertegerechten Verhalten veranlassen.

Die Adventzeit sollte uns zur Besinnung zu einem wertegerechten Verhalten veranlassen.

markt@vorarlbergernachrichten.at
Dr. Hannes Androsch ist Finanzminister i. R. und Unternehmer.