“Ich warne vor Untätigkeit”

Markt / 13.06.2016 • 21:17 Uhr
Wolfgang Hesoun: „Vieles, was auf uns einprasselt, ist ineffizient, teuer und lästig.“  Foto: Fabry/Die Presse
Wolfgang Hesoun: „Vieles, was auf uns einprasselt, ist ineffizient, teuer und lästig.“ Foto: Fabry/Die Presse

Siemens-Manager Wolfgang Hesoun über neue Steuern, Bürokratie und den Standort.

Wien, Schwarzach. Wolfgang Hesoun, seit 2010 Generaldirektor der Siemens AG, der im Konzern auch die Verantwortung für 18 Länder in Zentral- und Osteuropa trägt, gilt als einer der einflussreichsten Manager des Landes und ist bekannt dafür, dass er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält.

Waren Sie überrascht, dass Christian Kern zuerst von New Deal und Start-Ups gesprochen hat und eine Woche später von Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung?

Hesoun: Ich glaube, beide Themen haben ihre Berechtigung. Die Produktionsbedingungen verändern sich, dem können wir uns nicht entziehen. Da muss man natürlich darüber nachdenken, wie sich langfristig das Sozialsystem finanzieren lässt. Die Lohnsumme zu besteuern, wird dafür nicht ausreichen. Aber nur über das Schlagwort Maschinensteuer zu reden, wäre verkürzt. Wir brauchen ein ausgewogenes Gesamtsystem, das den Industriestandort nicht zusätzlich belastet.

Einige Ihrer Kollegen aus der Industrie waren vor allem über den Punkt Arbeitszeitverkürzung erschrocken.

Hesoun: Auch das lässt sich nicht generalisieren. Man kann nicht einfach sagen, so viele Stunden Arbeit habe ich und die verteile ich auf beliebig viele Menschen. Das weiß auch die Gewerkschaft. Hier wird versucht, das Problem Arbeitslosigkeit mathematisch zu lösen. Das greift zu kurz. Die Regierung kann keine Arbeitsplätze schaffen. Sie kann die Rahmenbedingungen festlegen, die Jobs schafft die Wirtschaft.

Und wie sehen die Rahmenbedingungen aus? So dramatisch, wie sie Voest-Chef Wolfgang Eder schildert, oder gar nicht so schlecht, wie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner findet?

Hesoun: Ich bin da eher bei Mitterlehner. Wir haben uns auf einem ansehnlichen Niveau durch eine der schwersten Krisen seit Kriegsende bewegt.

Den Unternehmen geht es also gar nicht so schlecht, wie sie immer behaupten?

Hesoun: Man muss sich ja nur die Zahlen anschauen. Aktuell werden Sie ganz wenige finden, die zurecht über Einbrüche klagen. Das findet so nicht statt. Die Nachfrage ist in vielen Bereichen gut. Aber natürlich kann man mit den richtigen Rahmenbedingungen aus gut auch besser machen. Dazu gehört natürlich das Thema Bürokratie. Wir sind in vielen Bereichen überadministriert. Es würde uns das Leben wesentlich erleichtern, wenn wir unkompliziert Spitzenkräfte auch aus dem Ausland rekrutieren könnten. Vieles, was von der öffentlichen Hand auf uns einprasselt, ist ineffizient, teuer und lästig. Ich warne davor, untätig zu bleiben.

Was geben Sie der Regierung noch mit?

Hesoun: Die Sorge, die Wolfgang Eder und andere Wirtschaftsvertreter zu Recht äußern, ist, dass die öffentliche Hand ein Ausgabenniveau erreicht hat, das der Regierung jeden Spielraum raubt, im Ernstfall Maßnahmen zu setzen. Zum Beispiel ein kurzfristiges Investitionsprogramm zu finanzieren. Wie Finanzminister Hans Jörg Schelling sagt, wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Auch die Bevölkerung spürt, dass es derzeit zwar nicht so schlecht läuft, aber jede Beweglichkeit fehlt. Das ist für das Land ein Problem. Wir werden in den nächsten Jahren auch kein nennenswertes Wachstum haben.

Wie könnte man mehr Spielraum schaffen?

Hesoun: Man muss ernsthaft darüber nachdenken, welche Leistungen wir in Zeiten der Digitalisierung noch brauchen, und welche noch von Menschen gemacht werden müssen. Wenn wir diesen Prozess jetzt nicht starten, kommen wir nie ans Ziel. Der Finanzausgleich wäre ein guter Rahmen, darüber zu reden.

Das mündet also in eine Föderalismusdiskussion.

Hesoun: Die Frage ist, welche Leistungen wirklich nötig sind. Die Möglichkeiten der EDV im Bereich e-Government sind auf einem Niveau, das weniger Personal erforderlich macht. Auf Bundesebene ist da sehr viel passiert. Ich weiß nicht, ob das überall so ist.

Wie sehen Sie die Zukunft Europas? Manche sagen, Europa wird eine Art Welfare-Museum und die Zukunft liegt in Südamerika und Asien.

Hesoun: Das halte ich für unwahrscheinlich. Europa stand immer für technologischen Vorsprung. Im Maschinenbau, in der Autoindustrie waren wir immer vorne mit dabei. Ich sehe Europa wirklich mit Zukunft ausgestattet. Aber wir müssen unsere Chancen auch wahrnehmen. Wir müssen die Wirtschaftspolitik in der EU viel enger abstimmen. Da müssen wir unsere Kraft besser bündeln und dürfen uns nicht im Inneren zerfleddern.

Wie würde sich der Brexit aus Sicht der Industrie auswirken?

Hesoun: Wo es mit Sicherheit Verschlechterungen geben wird, ist in England selbst. Gerade für die Briten mit ihrem Finanzmarkt war die EU als Hinterland sehr wichtig. Aber natürlich würde jede Form von zusätzlicher Unruhe die vorhandenen Probleme verstärken. Ich wünsche es mir nicht.

Teile der Regierung und zuletzt auch der Bundespräsident äußerten große Bedenken bezüglich TTIP. Besorgt Sie das?

Hesoun: Der aktuelle Verhandlungsstand ist, glaube ich, allen noch zu wenig bekannt, um darüber zu urteilen. Grundsätzlich bin ich für Freihandel, weil er Barrieren abbaut. Aber er muss unter fairen Rahmenbedingungen stattfinden. Unternehmen, die international tätig sind, profitieren davon.

Warum ist ausgerechnet in Österreich die Ablehnung so groß?

Hesoun: Ich glaube, der Österreicher hat in der Vergangenheit zu Recht ein sehr hohes Augenmerk auf seine Feinkostkultur gelegt. Wir haben auch gegen Kernenergie gestimmt und sind gegen gentechnisch verändertes Saatgut. Das ist ein Grundzugang. Österreich sieht sich als Höhenkurort, wo alles natürlich und schön ist. Das ist im Grunde gut, der Tourismus lebt davon. Wenn dann jemand mit Schlagworten wie Chlorhuhn kommt, stößt das eben auf großen Widerstand.

Die Wachstumsstrategie von Siemens heißt „Vision 2020“. Finden Sie in Österreich genügend Fachkräfte, um Ihre Vision zu verwirklichen?

Hesoun: Siemens hat gewisse Vorteile, weil wir als Arbeitgeber gefragt sind. Aber ich kenne vor allem in den westlichen Bundesländern etliche Unternehmer, etwa aus dem Bereich der Anlagenbauindustrie, die mehr umsetzen könnten, wenn sie die qualifizierten Mitarbeiter bekommen würden, die sie brauchen. Gerade KMU stehen hier vor besonderen Herausforderungen.

Sie sind Chef der Wiener Industriellenvereinigung und Teil der Sozialpartnerschaft. Kritiker aus der IV meinen, die Sozialpartnerschaft sei verkrustet und torpediere Erneuerungen. Sehen Sie das auch so?

Hesoun: Ich werde jetzt den Chef der Bundes-IV in seinen Aussagen nicht konterkarieren, er verhandelt auf Bundesebene. In Wien haben wir bisher immer eine Lösung gefunden, die für die Betriebe und die Gewerkschaften akzeptabel war. Es funktio­niert eigentlich recht gut. Aber dass es auch in der Sozialpartnerschaft redundante Strukturen gibt, ist klar. Wir sind alle angehalten, das laufend zu überprüfen.

Sind Sie eigentlich in irgendeiner Weise beratend für den Bundeskanzler tätig?

Hesoun: Nein, er kommt ja selbst aus der Wirtschaft und kennt das Metier.

Die Wiener Linien vergeben den Auftrag für die U5-Züge. Es geht um Hunderte Millionen. Sind Sie zuversichtlich, dass Sie ihn bekommen?

Hesoun: Da geht es nicht um Zuversicht. Wir haben ein gutes Produkt. Ein großer Teil der im Dienst befindlichen U-Bahnen kommt von Siemens, und ich höre, dass der Kunde zufrieden ist. Wir müssen das beste Angebot haben, dann werden wir den Zuschlag bekommen.

Das Interview wurde von den Bundesländerzeitungen und der „Presse“ geführt, für die VN Birgit Entner.