“Nicht warten, bis Dynamik am Ende gegen die Wand fährt”
IV-Chefökonom Helmenstein über notwendige Investitionen und wieso es auf Jahrzehnte Negativzinsen gibt.
Schwarzach. (VN-reh) Die Welt ist ein Dorf. Entfernungen spielen keine Rolle, Nahrungsmittel, Autos und Kleidungsstücke werden aus der ganzen Welt importiert. Österreichische Produkte genauso in die ganze Welt exportiert. Für Christian Helmenstein, Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung, bedeutet Globalisierung eine „riesige Welt, von der man lernen kann“. Ganz nach dem Motto: Wie gut kann ich sein? Denn es gebe viele Positivbeispiele, wie er im VN-Gespräch erklärt.
Israel habe trotz Krisenherde die Budgetkonsolidierung geschafft und eine enorme Startup-Kultur etabliert. Indien sei das meistunterschätzte Land der Welt mit höheren Wachstumsraten als China. Im kommenden Jahr würden 62 Länder den Tigerstaaten-Status erreichen. Teile Afrikas, Irland und Island hätten Potenzial und Costa Rica würde nicht umsonst als die „Schweiz Mittelamerikas“ bezeichnet. Letztlich gebe es also immer noch riesengroße Handelspotenziale. Helmenstein sieht ein Volumen von „mehreren 1000 Prozent in den nächsten 20 bis 30 Jahren“. Somit seien die Chancen für ein weltoffenes Bundesland wie Vorarlberg mit einem Zugang zum gesamten Weltmarkt lange nicht am Ende.
Reformbedarf in Österreich
Potenzial sieht der Chefökonom aber auch für Österreich – nämlich für Reformen. Er stimme mit Bundeskanzler Christian Kern überein, der sich dafür ausspricht, dass die öffentlichen Investitionen in der EU massiv erhöht werden müssten. Denn durch die Sparpolitik sei großer Schaden entstanden. „Wir kommen nur mittels Investitionen wieder auf den Wachstumspfad. Konsum allein reicht nicht“, sagt Helmenstein. Dafür müsste zunächst aber das Vertrauen der Investoren wiederhergestellt werden, das aufgrund ständig verschlechternder Standortbedingungen verloren ging.
Deshalb sei es wichtig, dass sich die Bundesregierung auf verlässliche Rahmenbedingungen verständige. So zum Beispiel auf eine Senkung der Körperschaftssteuer. Oder wie in Estland, wo bei einbehaltenen Gewinnen keine Steuer erhoben wird. Schon 2005, als der Satz von 34 auf 25 Prozent gesenkt wurde, seien positive Impulse eingetreten.
Von anderen überholt
Bei vielen Reformmaßnahmen sei Österreich längst von Ländern in Zentral- und Osteuropa überholt worden. „In der rumänischen Transparenzdatenbank beispielsweise kann das Budget von 13.700 Institutionen wie Schulen oder Kindergärten abgerufen werden“, berichtet Helmenstein. Rumänien habe zwar eine tiefgreifende Reformnotwendigkeit gehabt, man dürfe in Österreich aber nicht erst darauf warten, bis die Dynamik gegen die Wand fahre. „Wenn mehr Transparenz da ist, wäre das System von innen reformierbar“, ist er überzeugt.
Was er selbst, der heute 50 Jahre alt ist, allerdings nicht mehr erleben werde, sei, dass es positive Realzinsen auf sichere Anlagen geben wird. Und wenn, dann nur kurzfristig. Während viele davon ausgehen, dass die Zentralbanken die Zinsen anheben, sobald die Wirtschaft besser in Schwung kommt, sieht das Helmenstein nicht so. Für Sparer sei das negativ, für Unternehmensinvestitionen und Infrastrukturprojekte aber deutlich positiv.