„Wer innen wächst, entwickelt und fördert Potenziale“

VORTRAG Am 30. November referiert Dorothee Bürgi im Freihof in Sulz darüber, wie Unternehmen von
innen heraus wachsen können. Was sie darunter versteht, erklärt die 54-Jährige im Interview mit den VN.

Wachstum wird von den Firmen im Normalfall mit wirtschaftlicher Expansion definiert. Welches Pendant dazu spielt das Wachstum von innen?

Bürgi Wachstum von innen ist eine Form von qualitativem Wachstum. Das heißt, dass ein Unternehmen nicht nur auf quantitative Expansion im Äußeren fokussiert ist, sondern ebenso systematisch auf das Erkennen, Entwickeln und Fördern von Potenzialen, die im Unternehmen angelegt oder vorhanden sind. Auch das ist in der Konsequenz eine wirtschaftliche Expansion.

Wie können diese beiden Parameter (externes und internes Wachstum) zusammengeführt werden?

Bürgi Das ist vor allem eine Leadership-Aufgabe, ausgehend von einem Führungsverständnis, das auf Wachstum und Entwicklung von zukünftigen Führungskräften ausgerichtet ist. Führungskräfte, die keinen Nachwuchs entwickeln, hinterlassen oft eine breite Führungslücke, weil Mitarbeiter mit viel Potenzial früher oder später das Unternehmen verlassen. Wachstum von innen ist sowohl Zukunftssicherung, Reduktion von Personalkosten wie auch das Verhindern von Know-how-Drain.

Bedeutet Wachstum auch Verantwortung an Mitarbeiter/Nachfolger abzugeben bzw. zu übertragen?

Bürgi Ja. Nachwuchsentwicklung ist eine ständige Führungsaufgabe. Dazu gehörten die Fähigkeit zum Delegieren, Aufgaben übertragen, Kompetenzen einräumen etc. Entscheidend aber ist die Haltung: Basiert das Selbstverständnis einer Führungskraft darauf, wie ein „Vorturner“ alles selber zu machen, stellen Menschen mit Potenzial eine Bedrohung für sie dar. Solche Menschen neigen dazu, übermäßig stark im Operativen präsent zu sein, auch wenn die Notwendigkeit dafür objektiv gesehen nicht gegeben ist. Die Haltung „Vieles muss ich selber machen, sonst funktioniert der Betrieb nicht“ steht oft synonym für „Ich kann mir eine Welt ohne mich nicht vorstellen“. Nachwuchsentwicklung und Lebensentwürfe sind eng miteinander verwoben. Sie in einem Führungs-Coaching zu erhellen, zu verstehen und produktiv zu machen, ist in der Regel ein fruchtbarer Prozess für alle.

Leadership ist mitunter auch ein Kampf der Generationen. Hier die „routinierten alten Hasen“, dort die aufstrebenden Jungen, die für Dynamik stehen. Sind da beim inneren Wachstum Konflikte programmiert?

Bürgi Meiner Auffassung nach sind Dynamik und Seniorität keine Widersprüche. Im Gegenteil: „Routinierte alte Hasen“ bringen eine besondere Dynamik in ein Unternehmen ein, wenn sie mit der Haltung eines Coaches Leistung von Jüngeren entwickeln, fördern, begleiten, aber auch einfordern. Psychologisch gesehen geht es um Coaching und Mentoring. Darin liegt sowohl inhaltlich wie auch kulturell der qualitative Beitrag an das Wachstum eines Unternehmens. Wer Menschen weiterbringt, ist nie fertig mit Führen.

Gibt es in dieser Hinsicht einen Leitfaden oder sind diese für jedes Unternehmen individuell?

Bürgi Betreffend Visionen und Werte unterscheiden sich Unternehmen natürlich. Wichtig ist die Reflexion des Entwicklungsverständnisses und der Wachstums­philosophie: Ist das Management primär darauf ausgerichtet, das Operative im Griff zu haben, oder nehmen sich Führungskräfte genügend Zeit, sich um die wettbewerbsbezogene Zukunftssicherung des Unternehmens zu kümmern. Und dazu gehört eben auch das systematische Entwickeln von Potenzialen und Führungsnachwuchs. Auf der persönlichen Ebene ist Wachstum von innen primär eine Klärung der eigenen Position und das Im-Blick-Haben eines persönliches Wertes: was will ich, wofür lebe ich, in welchem Horizont steht mein Wirken, mein Leben, meine Arbeit?