Hannes Androsch

Kommentar

Hannes Androsch

Europa solidarisch und handlungsfähig

Markt / 29.05.2020 • 22:17 Uhr

Die immer gefährlichere Ausmaße annehmende Rivalität zwischen China und den USA entbehrt inzwischen jeglicher geopolitischer Besonnenheit. Dies aber ist nicht nur zum Nachteil dieser beiden Länder, sondern zum Schaden der ganzen Welt. Inzwischen droht – auch als Folge der Corona-Krise – die Weltwirtschaft tatsächlich in ihre Einzelteile zu zerfallen – mit unabsehbaren Konsequenzen für Europa. Henry Kissinger mahnte daher zur Zusammenarbeit zwischen Amerika und Europa, da ansonsten die USA erneut in Isolationismus abgleiten, Europa hingegen zum bedeutungslosen Anhängsel von Eurasien werden würde. Voraussetzung dafür ist, dass die EU zusammenhält und nicht jedes Land nach dem Motto „my country first“ agiert.

Dieser Notwendigkeit sollte sich auch Österreich bewusst werden. Doch die Regierungen unter türkiser Führung haben sich bei europäischen Bemühungen meist als Verweigerer und Blockierer gezeigt. Und auch der jüngste Vorstoß des Kanzlers, mit dem er den von Merkel und Macron vorgeschlagenen Wiederaufbaufonds für die am schwersten von der Corona-Pandemie getroffenen EU-Mitglieder verhindern will, zeigt, wie wenig er sich als Europäer sieht.

Die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich ist ein wichtiger Schritt, einen Konstruktionsfehler der Eurozone zu beseitigen. Er beruht auf der Einsicht, dass es die Vorgangsweise gegenüber Griechenland war, die 2010 zur Eurokrise führte. Eine Wiederholung dieser Politik wäre wohl das Ende der EU. Wolfgang Schäuble mahnte daher: „Wenn Europa überhaupt noch eine Chance haben will, muss es sich jetzt als solidarisch und handlungsfähig erweisen.“

Deshalb hat auch der Gegenvorschlag der „geizigen Vier“ – Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande – in der EU große Verärgerung ausgelöst. Das unter dem Motto „mehr Egoismus, weniger europäische Integration“ stehende Papier ist Ausdruck einer anti-europäischen und von kurzfristigen populistischen Erwägungen geprägten Haltung türkiser Prägung und hat folgerichtig bereits das Etikett „verlogener Schwarzfahrer-Vorschlag“ und „Provokation“ erhalten. Dies schadet unserem Land, das zu den überdurchschnittlichen Gewinnern des Binnenmarktes zählt, nicht nur gegenüber Deutschland und Italien als unseren beiden wichtigsten Handelspartnern, sondern in ganz Europa.

Einem Ertrinkenden den Rettungsring nur unter der Bedingung zu versprechen, dass dieser zuvor schwimmen lernt, ist zynisch. Einem Ertrinkenden den Rettungsring zu verweigern, obwohl man an ihn angebunden ist, ist dumm. Österreich kann es nur gut gehen, wenn es Europa gut geht. Oder wie Mark Twain meinte: „Either we hang together or we hang separately“. Als kleines Land würden wir zu den ersten Gehängten zählen.

„Die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich ist ein wichtiger Schritt, einen Konstruktionsfehler der Eurozone zu beseitigen.“

Hannes Androsch

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Dr. Hannes Androsch ist Finanz­minister i. R. und Unternehmer.