Hannes Androsch

Kommentar

Hannes Androsch

Europa zwischen den Fronten

Markt / 26.06.2020 • 22:28 Uhr

Noch im Jänner lobte Präsident Trump seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping für die Teileinigung im Handelskonflikt – wohl, wie man inzwischen weiß, weil sich Trump von China Unterstützung im Wahlkampf erhoffte. Nun aber hat das amerikanisch-chinesische Verhältnis einen neuen Tiefpunkt erreicht und nimmt zunehmend die Form feindseliger Rivalität an. Zudem werden die Probleme, die aus dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und dem damit verbundenen Machtanspruch, dem gleichzeitigen Rückzug der USA aus der globalen Verantwortung, den daraus resultierenden Handelskrisen und der Erosion der bisherigen Weltordnung entstanden sind, durch die Covid19-Pandemie noch weiter verschärft.

Der Konflikt der beiden Supermächte hat auch Folgen für Europa, ist es doch zunehmend auf sich allein gestellt und muss sich zwischen diesen beiden positionieren. Eine schwierige Aufgabe, umso mehr als die EU bis heute keinen gemeinsamen Weg definieren konnte. Dabei bräuchte es gerade jetzt ein starkes Europa, ein Europa der Geschlossenheit und des Zusammenhalts, ein Europa mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und einem starken wirtschaftlichen Fundament. Ein Europa schließlich, dessen Konstruktionsfehler beim Euro, nämlich das fehlende Mindestmaß einer Transferunion mit gemeinsamer Steuerpolitik, behoben wird. Mit anderen Worten: Es braucht in der EU einen „Hamilton Moment“, ähnlich jenem, als Alexander Hamilton, erster Finanzminister der USA, kurz nach der Gründung der Vereinigten Staaten die Schulden der Einzelstaaten zu Bundesschulden machte, die von allen gemeinsam bedient wurden.

Basierend auf einem Vorschlag der deutschen Kanzlerin Merkel und des französischen Präsidenten Macron präsentierte Kommissionspräsidentin von der Leyen nun ein 750-Milliarden-Programm zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Das Geld soll von der EU als gemeinschaftlicher Kredit aufgenommen und größtenteils in Form von Zuschüssen an die von der Pandemie besonders betroffenen Länder vergeben werden.

Doch die selbstgefälligen „geizigen Vier“ (Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden) haben Bedenken gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden. Es gibt gute Gründe, den Vorschlag der EU-Kommission zu diskutieren. Doch angesichts Corona steht die EU vor einer bisher ungekannten Zerreißprobe. Wenn die sozialen Probleme größer werden, gewinnen auch die antieuropäischen, nationalistischen Kräfte an Boden. Die Repräsentanten der Mitgliedsstaaten sind daher gut beraten, eine konstruktive Einigung zur Gestaltung eines deutlich größeren EU-Rahmens zu erzielen. Die USA und Alexander Hamilton sollten als Vorbild dienen. Andernfalls könnte dies das Ende der EU bedeuten.

„Angesichts von Corona steht die EU vor einer bisher ungekannten Zerreißprobe.“

Hannes Androsch

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Dr. Hannes Androsch ist Finanz­minister i. R. und Unternehmer.