Wie der Standort Österreich vom Musterschüler zum Abstiegskandidaten wurde

Österreichs Wirtschaft steht im EU-Vergleich an vorletzter Stelle.
Schwarzach, Wien „Beim ersten Lockdown hat unsere Regierung alles richtig gemacht, aber im Sommer hat man die Zügel schleifen lassen, statt sich auf die weitere Entwicklung vorzubereiten“, fasst der Präsident der Industriellenvereinigung, der Dornbirner Unternehmen Martin Ohneberg, zusammen. Das zeigen auch die Fakten der beiden Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS. Die jüngsten Zahlen der EU-Kommission sehen Österreich 2020 im letzten Drittel, heuer sogar an vorletzter Stelle in der Union. Während die Regierung den Einbruch mit dem hohen Anteil des Tourismus erklärt, nennen die Experten auch einen anderen Grund: den harten und langen Lockdown seit November 2020.
Problem Tourismus
Finanzminister Gernot Blümel erklärte, dass der tiefe Einbruch der heimischen Wirtschaft dem hohen Tourismusanteil geschuldet ist. Der Anteil des Tourismus beträgt laut OECD 6,5 Prozent. Fast so viel wie in Griechenland (6,8) und wesentlich mehr als in Deutschland (3,9) und der Schweiz (2,9). WIFO-Konjunkturexperte Josef Baumgartner betont gegenüber der APA, dass Österreich aber gerade im Wintertourismus wenig eigenen Spielraum hat: „Auch wenn in Österreich die Hotels offen wären, würde die Nachfrage gering ausfallen, weil der Wintertourismus von ausländischen Gästen geprägt ist.“
Für die aktuelle Schwäche der heimischen Wirtschaft sehen Baumgartner und Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom IHS aber auch den harten und langen Lockdown, den die Regierung im Herbst 2020 ausgerufen hat. „Wir sind von sehr liberal auf relativ restriktiv umgeschwenkt“, sagt Baumgartner mit Verweis auf einen von der Universität Oxford geführten Vergleich. Dieser „Stringency Index“ gibt an, wie streng die Corona-Maßnahmen in den einzelnen Ländern sind. Und er zeigt klar, dass Österreich im Sommer weiter aufgemacht hat als Deutschland oder die Schweiz. Dafür musste die Regierung im Herbst dann deutlich früher schärfere Maßnahmen ergreifen, um die Infektionszahlen abzubremsen.
Der Hörbranzer Verhaltensökonom Gerhard Fehr von Fehr Advice, Zürich und Wien, sieht den hohen Tourismusanteil als gegeben an, betont aber, dass dies der Regierung schon vor der Pandemie bewusst war. „Dementsprechend hätte man sich vorbereiten können, da hätte man die Maßnahmen gezielter auf diese Branche abstellen können.“ Was es jetzt braucht, ist, dass man aus dem vergangenen Jahr lerne, sagt Fehr, „wir müssen schneller lernen, etwa, was zu tun ist, dass wir keine weiteren Lockdowns machen müssen. Jetzt ist man bei den Test für die Bevölkerung gut aufgestellt, das muss man weiter ausrollen, dann könnten auch andere Branchen wieder öffnen.“
Immer einen Schritt hinten
„Im Grunde genommen befinden wir uns seit 2. November im mehr oder weiger tiefen Lockdown“, betont Czypionka im Gespräch mit der APA mit Blick auf die aktuelle Lage. „Aus meiner Sicht hätte man damals wesentlich früher reagieren sollen.“ Denn für die Wirtschaft wäre ein kurzer, starker Lockdown deutlich besser gewesen. So war die Regierung „immer einen Schritt hinter der epidemiologischen Entwicklung“. Im wöchentlichen Wirtschaftsindex des WIFO ist das deutlich ablesbar: seit dem ersten Lockdown Anfang März führt hier jede Verschärfung der Corona-Maßnahmen zu einem fast gleichzeitigen Rückgang der Wirtschaftsaktivität. Anders in der Schweiz, wo die Maßnahmen deutlich weniger stark auf die Wirtschaft durchschlagen. Für Deutschland fehle ein vergleichbarer wöchentlicher Wirtschaftsindex. Baumgartner verweist aber darauf, dass die deutschen Nachbarn erst kurz vor Weihnachten in einen harten Lockdown gegangen ist – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf das Weihnachtsgeschäft.
Günstigere Position
Für Czypionka hat die Schweizer Wirtschaft insgesamt günstigere Voraussetzungen. Die starke Finanzindustrie sei von der Pandemie nicht so stark betroffen, ebenso die Industrie. Allerdings verweist er darauf, dass die Corona-Maßnahmen auch in der Schweiz heftig kritisiert wurden – als zu wenig streng. Und hier fällt die Bilanz der Schweiz weniger rosig aus: Mit 1127 Todesfällen pro Million Einwohner liegen die Schweizer Nachbarn deutlich vor Österreich (910). Wie kann sich der Wirtschaftstandort wieder erholen?
Wie kann sich der Wirtschaftsstandort wieder erholen?
Im ersten Lockdown waren die Maßnahmen richtig, doch dann setzte im Sommer das typisch österreichische Laissez-faire ein und man hat verabsäumt, Maßnahmen für die drohende zweite Welle zu treffen. Jetzt muss alles daran gesetzt werden, dass durch noch stärkeres Testen und forcierte Impfung ermöglicht wird, dass weitere Bereiche wie Gastronomie oder der Sport wieder öffnen können. Martin Ohneberg, IV Vorarlberg, Fa. Henn
Im Grunde genommen befinden wir uns seit 2. November im mehr oder weniger tiefen Lockdown, aus meiner Sicht hätte man damals wesentlich früher reagieren sollen. Denn für die Wirtschaft wäre ein kurzer, starker Lockdown deutlich besser gewesen. So war die Regierung immer einen Schritt hinter der epidemiologischen Entwicklung. Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom, Institut für höhere Studien, Wien
Österreich ist sicher nicht schlechter als andere Länder, aber wir müssen besser sein. Ein wichtiges Thema ist, dass wir zwar Daten zur Pandemie und den Maßnahmen haben, aber diese bislang nicht entsprechend auswerten. Wir müssen die Frage beanworten, wie man mit Lockdowns umgeht und daraus lernen, d. h. die Testinfrastruktur weiter ausrollen und jetzt auch die Impfinfrastruktur. Gerhard Fehr, Fehr Advice, Zürich und Wien
