Demokratie in Gefahr
„We the People“, so lautet der Beginn der Verfassung, mit der die USA ihre in der Unabhängigkeitserklärung festgelegten politischen Leitideen „Gleichheit“, „naturgegebene Rechte“ und „Volkssouveränität“ untermauerten. Allein unter diesen Voraussetzungen lässt sich ein freies, selbstbestimmtes Leben gestalten, lassen sich Manipulation und Unterdrückung vermeiden. Daher bestimmt auch Artikel 1 unserer Bundesverfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“.
Demokratie bedeutet aber mehr als nur Mehrheitsentscheidungen. Sie sichert v.a. die Möglichkeit, die Herrschenden ohne Blutvergießen auszutauschen. Dies ist ihr größter Vorzug, wie Karl Popper darlegte. Er verband damit seine eindringliche Warnung vor autokratischen Regimen und der Gefahr für Freiheit und Menschenrechte.
Wir stellen uns das Ende einer Demokratie zumeist als dramatischen, gewaltsamen Akt vor. Der vom damaligen US-Präsidenten angezettelte Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner entsprach dieser Vorstellung. Doch schon 1972 prägte die Washington Post den Satz „Die Demokratie stirbt in Dunkelheit“. Tatsächlich beginnt der demokratische Rückschritt heute meist an der Wahlurne. Die Regierungschefs „illiberaler Demokratien“ wie Ungarn oder Polen wurden alle rechtmäßig gewählt, schlugen aber bald den Weg in Autokratien ein, indem sie die Justiz unterliefen, Medien unter Druck setzten und politische Konkurrenz an den Rand drängten – alles hinter einer legalen Fassade und ohne die Demokratie formal abzuschaffen.
Längst hat das Virus des Orbanismus, gepaart mit Trumpismus-Allüren, auch Österreich erfasst. Die große Gefahr besteht darin, dass unsere Demokratie schleichend und unbemerkt erodiert. Anzeichen sind die Missachtung des Parlaments, die Bekämpfung der Unabhängigkeit der Justiz, die Message Control und Versuche, die Medien „gleichzuschalten“. Auch die Abschiebung gut integrierter Kinder und die Verweigerung jeglicher Mitmenschlichkeit gegenüber Flüchtlingen passt in dieses Bild.
Vor dem Hintergrund der im digitalen Zeitalter ohnehin bestehenden Gefahr staatlicher Überwachung bzw. des Überwachungskapitalismus von Tech-Giganten gibt es also mehr als nur einen Grund zur Sorge, dass unsere Freiheit zunehmend eingeschränkt wird. Wehren wir den Anfängen, um eine weitere Orbanisierung abzuwenden!
Willy Brandt meinte „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Dies gilt auch für die Freiheit, die es ohne Demokratie nicht geben kann.
„Längst hat das Virus des Orbanismus, gepaart mit Trumpismus-Allüren, auch Österreich erfasst.“
Hannes Androsch
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Dr. Hannes Androsch ist Finanzminister i. R. und Unternehmer.
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