Zeitenwende?

Markt / 08.07.2022 • 18:36 Uhr
Zeitenwende?

Wien Viele der derzeit veröffentlichten Wirtschaftsdaten lassen bei nicht wenigen Menschen das Gefühl einer Zeitenwende aufkommen. So muss man schon einige Jahre alt sein, um sich an so hohe Inflationsraten erinnern zu können, zuletzt Mitte der 70er-Jahre. Deutschland meldet das erste Handelsbilanzdefizit seit über vierzig Jahren, und die langfristigen Realzinsen im Euroraum stiegen zuletzt so stark wie noch nie seit Einführung des Euro 1999. Wir reden über Energieknappheit, Lohn-Preis-Spiralen, Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken. All diese Dinge hätten wir vor einem Jahr als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt. Es ist klar, dass dies enorme Verunsicherung auslöst, nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch im täglichen Leben.

Aber in all diesem scheinbaren Chaos vermeldet Österreich den höchsten Stand an Beschäftigten, fast vier Millionen, Arbeitskräftemangel und ein Wirtschaftswachstum von heuer wahrscheinlich über 4 Prozent. Auch wenn wir heute nicht wissen, ob uns im Winter Gas fehlen wird, wann die Inflationsrate wieder sinkt und sich Lieferkettenprobleme in Asien auflösen, die Wirtschaft im Euroraum oder in Österreich funktioniert weiterhin. Viele der nun wahrgenommenen Veränderungen, wie die Transformation unseres Energiesektors, die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung, der Arbeitskräftemangel aufgrund struktureller Änderungen und demografische Entwicklungen sind schon lange erkennbar, haben sich aber nun kurzfristig beschleunigt. All diese Änderungen sind für Wirtschaft und Gesellschaft schaffbar, mit wieviel „Stress“ hängt von der Politik ab, kluge Entscheidungen zu treffen.

stefan.bruckbauer@unicreditgroup.at, Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Bank Austria Unicredit, Economics & Market Analyses