“Misserfolge werden europäisiert”

Markt / 11.10.2023 • 22:09 Uhr
EU-Kommissar Hahn: „Die Mitarbeiterzahl der EU kann man mit der einer mitteldeutschen Stadt vergleichen. Die EU-Verwaltung ist damit sehr schlank.“ VN/Paulitsch
EU-Kommissar Hahn: „Die Mitarbeiterzahl der EU kann man mit der einer mitteldeutschen Stadt vergleichen. Die EU-Verwaltung ist damit sehr schlank.“ VN/Paulitsch

EU-Kommissar Johannes Hahn über Verwaltung, Neuaufnahmen und EU-Skepsis.

Frastanz Johannes Hahn ist seit 2010 EU-Kommissar. Nun zieht er Resümee, denn 2024 wird er nicht mehr für das Amt zur Verfügung stehen.

 

Die Ukraine rechnet mit einer Aufnahme in die EU. Können Sie uns etwas zu den Plänen sagen?

Hahn Es war wichtig, der Ukraine den Kandidatenstatus zu geben, insbesondere angesichts der schwierigen Situation, in der sich das Land aufgrund des Angriffskriegs Russlands befindet. In den kommenden Wochen werden Diskussionen darüber geführt werden, ob Beitrittsgespräche mit der Ukraine, Moldawien und möglicherweise anderen Ländern aufgenommen werden. Ein zukünftiger Beitritt kann aber nur erfolgen, wenn die EU selbst institutionell und finanziell für neue Mitglieder bereit ist. Für alle Beitrittskandidaten, auch jene auf dem Balkan, ist Rechtsstaatlichkeit ein wesentliches Kriterium. Einige dieser Länder werden ihre eigenen „Hausaufgaben“ erledigen müssen, um für einen Beitritt reif zu sein.

 

Bei vielen EU-Bürgern und vor allem vielen Österreichern gibt es eine große Skepsis gegenüber der EU. Wie erklären Sie sich das?

Hahn Ich bin enttäuscht, dass die österreichische Bevölkerung zu den EU-skeptischsten gehört. Es geht nicht um unkritische EU-Euphorie, sondern darum zu verstehen, dass in einer sich immer mehr globalisierenden Welt, in der ein zunehmender Wettbewerb sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Art besteht, die EU ein Schutzschild für kleinere und mittlere Länder ist. Es macht einen Unterschied, ob ein Land alleine auf der Weltbühne steht oder mit der Rückendeckung des stärksten und attraktivsten Binnenmarktes agiert. Europa ist die beste Rückversicherung für die Bürger, ein Leben in Freiheit, Wohlstand und Sicherheit führen zu können. Zur Überwindung der Skepsis braucht es Kommunikation und Aufklärung. Alle, von den Bürgermeistern bis zu den EU-Kommissaren, müssen korrekt und seriös über Europa kommunizieren. Die Praxis, Erfolge zu nationalisieren und Misserfolge zu europäisieren, ist auf lange Sicht kontraproduktiv.

 

Ins Treffen geführt wird immer wieder das Bürokratiemonster EU.

Hahn Die EU hat im Vergleich zur Bevölkerungsgröße wenige Mitarbeiter. Es sind 32.000, von denen ein Viertel Übersetzer und Dolmetscher sind, um die 24 Amtssprachen zu bedienen. Die Mitarbeiterzahl kann man mit der einer mitteldeutschen Stadt vergleichen. Die EU-Verwaltung ist damit sehr schlank.

 

Sie werden 2024 auf eigenen Wunsch ausscheiden. Wie schauen Sie auf die dann fast 15 Jahre zurück? Und was wünschen Sie der EU?

Hahn Im Laufe der Jahre bin ich ein wesentlich rationalerer Europäer geworden. Ich habe die Möglichkeiten erkannt, die sich bieten, wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam handeln. Ich bin überzeugt, dass die Europäische Union der Garant ist, um die Zukunft und den „European Way of Life“ an die kommenden Generationen weiterzugeben. Ich hoffe, dass die EU weiter in der Lage ist, auf globale Herausforderungen zu reagieren und unsere Position auf der Weltbühne zu stärken.

 

Was bringt die EU den Vorarlbergern?

Hahn Länder wie Österreich und besonders Regionen wie Vorarlberg profitieren extrem von einem gut funktionierenden Binnenmarkt. Für jeden Euro, den Österreich oder Vorarlberg in das Unionsbudget für das Funktionieren des Binnenmarktes einzahlen, bekommen wir das zehn- bis elffache zurück. Bei wirtschaftlich weniger entwickelten Mitgliedstaaten liegt dieser Wert beim Fünf- bis Sechsfachen. Von der gemeinsamen Währung, einer einheitlichen Geldpolitik und einem idealerweise zu 100 Prozent funktionierenden Schengen-Raum profitieren die Wirtschaft und die gesamte Region, da dadurch auch die Bürokratie- und Verwaltungskosten erheblich gesenkt werden können. VN-sca