Warum der Welthandels-Tsunami auch Chancen bietet

Die Zollpolitik des US-Präsidenten wirbelt die Weltwirtschaft durcheinander. Doch es sind vor allem amerikanische Anleger, die bislang darunter leiden. Ein Gespräch mit Raiffeisen-Finanzanalyst Helge Rechberger über Chancen und Risiken für Anleger.
Schwarzach Helge Rechberger ist Senior-Aktienanalyst und Raiffeisensektor-Research-Koordinator bei der Raiffeisen Bank International AG. Er ist seit 1993 beim Institut tätig, schon damals in jenem Bereich, der sich heute Raiffeisen Research nennt. Der zertifizierte Finanzanalyst (CEFA) bezeichnet sich als Urgestein der Aktienmarktanalyse. Und obwohl er in seiner Karriere schon verschiedene Krisen und Situationen erlebt hat, ist für ihn die heutige Situation einzigartig: “So erratisch war die Lage noch nie”, sagt er im Gespräch mit den VN im Vorfeld einer Veranstaltung der Raiffeisen Landesbank mit dem Fokus auf “Globale Machtspiele und Finanzstrategien”.
Milliarden-Paket in Deutschland
Der Welthandels-Tsunami, der von der neuen US-Regierung, aber vor allem ad personam Präsident Donald Trump, in den vergangenen Monaten ausgelöst wurde, bringe zwar die globale Wirtschaft völlig durcheinander, doch “die Stimmung ist vor allem in den USA extrem negativ”, verweist Rechberger auf Umfragen zur aktuellen Situation. Die europäischen Börsen hingegen profitieren davon, dass viele Amerikaner von den heimischen Börsen hierher ausweichen.” Während in den USA die Börsenindizes nach unten gehen, steigen sie in Europa. So sind z. B. die Aktien deutscher Unternehmen stärker gestiegen, als es die Wirtschaftslage eigentlich vermuten ließe.

Mit Jahresbeginn helle sich auch die Stimmung in den Unternehmen wieder auf, so Rechberger, und dafür gebe es Gründe. Das 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturpaket, das die neue deutsche Regierung auf Schiene gebracht hat, beflügelt nicht nur die deutschen Unternehmen in der Branche, sondern auch österreichische Marktteilnehmer wie etwa die Strabag, die schon lange in Deutschland tätig ist. Außerdem schwäche sich die lange Phase der ESG-Vorschriften ab, was sich ebenfalls an der Börse positiv auswirke. Die vergangenen Jahre haben auch dazu geführt, dass die Rüstungsindustrie nicht mehr geächtet wird und wieder auf den Kurszetteln erscheine, nimmt er zur moralischen Komponente bei boomenden Titeln Stellung. “Dabei ist klar abgegrenzt, welche Bereiche den ESG-Kriterien entsprechen, nämlich Waffen, die zur Verteidigung dienen. Keine Angriffswaffen und keine Nuklearwaffen”, erklärt Rechberger.
Fondprodukte gewinnen
Aber auch wenn die Börsen und zahlreiche Titel boomen – Rechberger und der Vorstandschef der Raiffeisen-Landesbank, Michael Alge, raten nicht unbedingt dazu, eigenständig auf Einzeltitel an der Börse zu setzen, wenn man nicht ein ausgesprochener Experte mit starken Nerven und entsprechenden Mitteln sei. Und auch diese Tipps gibt der Banker potenziellen Anlegern mit auf den Weg: Insgesamt haben diversifizierte Fonds, die von Banken – z. B. auch Raiffeisen – aufgelegt wurden und werden, eine sehr gute Performance. “Selbst in schwierigen Jahren waren die Fonds – auf zehn Jahre betrachtet – immer auf der sicheren Seite.” Auch in Zeiten wie diesen sei deshalb auch der richtige Weg, ruhig zu bleiben.
Und man sollte das in Fonds oder Anleihen gesteckte Geld nicht kreditfinanzieren bzw. kurzfristig benötigen. Aber das ist eine Regel, die schon der legendäre Börsenguru André Kostolany gebetsmühlenartig predigte. Auch wenn die Tendenz der Österreicher, die sehr an traditionellen Sparprodukten festhalten, langsam in Richtung Fonds und Anleihen geht, wiederholen Rechberger und Alge ihre Forderung nach einer besseren Finanzbildung, welche den Kunden auch mehr Ertrag beschere.