Sehnsucht nach Unbeschwertheit

Menschen / 30.11.2020 • 21:55 Uhr
Nicole Schneider-Schallert: „Vermisse Kaffeehausbetrieb.“ Privat
Nicole Schneider-Schallert: „Vermisse Kaffeehausbetrieb.“ Privat

Die VN fragen nach: Mit dem Lockdown hat sich unser Leben verändert. Was geht Ihnen am meisten ab?

schwarzach Während der eine die Ruhe genießt, vermisst der andere das soziale Leben. Die fehlende Unbekümmertheit von früher macht jedoch allen zu schaffen.

Jazzmusiker David Helbock, 36, geht die mobile Flexibilität am meisten ab. „Bis zur Krise war ich ein ,moderner Nomade‘. Als Musiker ständig unterwegs, habe ich zum Beispiel im Jahr 2019 über 120 Konzerte weltweit gegeben – all das ist nicht mehr möglich“, resümiert der Koblacher. „Auch privat sind meine Aufenthalte im Normalfall recht flexibel, so pendelte ich ständig zwischen Wien, Berlin und Vorarlberg. Während des ersten Lockdowns konnte ich wegen der Grenzschließungen meine Frau in Berlin eine Zeit lang gar nicht sehen und auch jetzt sind Reisen (und sei es nur ins Nachbarland) sehr kompliziert. Diese mobile Unbeschwertheit geht mir am meisten ab“, bedauert Helbok.

Nicole Schneider-Schallert vom Café Schallert in Höchst ist dankbar, dass sie zumindest ihr Konditorenhandwerk weiter ausüben kann. „Natürlich geht mir persönlich der tägliche Kaffeehausbetrieb sehr ab. Ruhig ist es geworden“ erzählt die 45-Jährige, betont jedoch gleichzeitig ihre Dankbarkeit dafür, dass ihr Betrieb nicht komplett still stehen muss. „Ich bin sehr dankbar, dass wir unser Konditorenhandwerk weiterhin ausführen dürfen und die Köstlichkeiten über die Theke verkaufen können.“ Mehr denn je würde sie jetzt viel Wertschätzung von den Kunden erfahren, „und dies ist sehr, sehr motivierend“ freut sich Nicole Schneider-Schallert.

Als bedrückend und düster nimmt Fotografin und Filmerin Sarah Mistura, 34, den zweiten Lockdown wahr. „Wo der erste Lockdown noch so etwas wie eine Zwangspause im sonnigen Frühling war, so kommt der zweite, gefärbt durch die Wochen und Monate davor, sehr viel bedrückender und düsterer daher“ bringt die Hörbranzerin ihre Gefühle zum Ausdruck. Seit ihrem ersten Kontakt mit einem Covid-Infizierten vor ein paar Wochen im Büro habe sie auch diese Zusammentreffen gestrichen. „Man setzt sich nur noch zusammen, wenn es wirklich dringend ist – und dann mit viel Abstand“ erklärt die 34-Jährige und ergänzt ernst: „Wir wollen und können nicht verantworten, dass wir unsere Lieben oder Kunden in Gefahr bringen.“ Grundsätzlich vermisst die Fotografin es aber sehr, unbekümmert, oder eben überhaupt Menschen, die sie liebt, zu besuchen und ihnen nahe zu sein. „Was ich außerdem wirklich sehr vermisse, sind Kunst und Kultur und somit auch der Austausch mit Gleichgesinnten“, so Mistura.

„Das Zurückgeworfensein auf mich selber tut gut, ab und an. Eine zeitweilige Innenschau kann nicht schaden“ versucht Martin Gruber, Regisseur des aktionstheater ensemble, die positiven Aspekte des Lockdowns für sich zu finden. Was aber bleibt übrig, wenn die erzwungene Distanz, auch wenn sie zwingend nötig ist, zum Alltag wird? Eine für den Kunstschaffenden doch wesentliche Frage.

„Das physische Überleben braucht nun den Lockdown, die Distanz. Das mentale Überleben jedoch braucht die Nähe“, ist sich der 53-Jährige sicher. „Die – erzwungene – Innenschau bringt mich also abermals zu der Einsicht, dass ich ohne ein Gegenüber nicht leben kann. Und auch nicht will. So viel Gegenüber wie möglich, als Lebensgrundlage. Ich werde es also nutzen, wenn‘s wieder möglich ist!“ VN-ea, mik

Empfindet den Lockdown als bedrückend: Sarah Mistura.Privat
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Martin Gruber: „Mentale Gesundheit braucht Nähe.“ Stefan Grdic
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Sich im Café oder anderswo auf ein Plauderstündchen zu treffen, ist derzeit nicht möglich. apa
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