Als Dokumentarfilmer war er in der “Hölle” von Moskau

Menschen / 26.02.2025 • 13:48 Uhr
Als Dokumentarfilmer war er in der "Hölle" von Moskau
Wolfgang Mertin im Wohnzimmer seiner Wohnung. An die Zeit in Russland erinnert er sich besonders gern. Philipp Steurer

Wolfgang Mertin (83) hat als Dokumentarfilmer und Auslandskorrespondent in Moskau ein Leben voller Abenteuer geführt.

Dornbirn Wolfgang Mertin (83) sucht jemanden, der ein Buch über sein spannendes Leben schreiben möchte. „Ich hatte viel Glück in meinem Leben. Ich bekam Chancen und nutzte sie.“ Wolfgang kam zur Welt, als der Krieg tobte. Im Jahr 1943 flüchtete seine Familie mit ihm aus Schlossberg in Ostpreußen nach Wallhausen in Sachsen-Anhalt. „Mein Großvater war der Meinung, dass Deutschland diesen Krieg nicht übersteht.“ Wolfgangs Vater fiel in Stalingrad. Seine Mutter heiratete noch einmal und bekam drei Kinder. „Mein Stiefvater war sehr streng. Er hat mich geschlagen.“ Wolfgang wuchs in Armut auf. „Erst als mein Stiefvater Schweine zu halten begann, und sie schlachtete, konnte ich mich richtig satt essen.“

Als Dokumentarfilmer war er in der "Hölle" von Moskau
Wolfgang Mertin auf dem Schoß seiner Mutter. Sie starb, als er 20 Jahre alt war.

Der Bub träumte davon, Schauspieler zu werden. „Mich zog es in die Öffentlichkeit. Ich wollte bekannt werden.“ Mit der Schauspielerei wurde es nichts, aber als Nachrichtensprecher beim Fernsehen konnte er vor der Kamera arbeiten. „Ich wollte die Texte selbst schreiben und journalistisch arbeiten. Deshalb habe ich über ein Fernstudium Journalismus studiert.“ Ostberlin wurde für einige Jahre zu seiner Heimat. Beim DDR-Fernsehen brachte er es bis zum Auslandskorrespondenten in Moskau. Als solcher musste er die Texte und Kommentare der DDR-Führung vorlesen. „Ich aber wollte das Land kennenlernen und Filme über die Menschen und das Land drehen.“

Als Dokumentarfilmer war er in der "Hölle" von Moskau
Wolfgang Mertin als junger Mann.

Seine Liebe galt Russland und der russischen Seele. „Als Dokumentarfilmer erlebte ich in Russland viele Abenteuer.“ Zwölf Jahre lebte der Auslandskorrespondent mit seiner Frau Heilwig in Moskau. Während dieser Zeit drehte er 16 Dokumentarfilme. Wolfgang war unter anderem bei den Goldwäschern in Sibirien, begleitete eine Hundeschlittenexpedition am Polarkreis und dokumentierte die Fahrt mit der Polarbahn, der nördlichsten Eisenbahn der Welt.

Als Dokumentarfilmer war er in der "Hölle" von Moskau
Zwölf Jahre lang war Wolfgang Mertin für das DDR-Fernsehen Auslandskorrespondent in Moskau.

Kurz vor der Wende kamen die Mertins aus Russland zurück nach Berlin. „Nach der Wiedervereinigung verlor ich die Arbeit beim DDR-Fernsehen.“ Die Mertins schafften es, sich neu zu erfinden. Sie zogen in Ostberlin einen Bierhandel auf. „Wir sind zu Gaststätten gefahren und haben Fassbier verkauft.“ Damit waren sie 13 Jahre erfolgreich. Als der Umsatz zurückging, verkauften die Mertins ihr Geschäft. „Mit dem Geld haben wir unser Haus in Berlin abbezahlt.“

Nach dem Mauerfall hörte Wolfgang nicht auf, bemerkenswerte Filme zu drehen. „Dazu machte mir das Filmen zu großen Spaß. Jetzt arbeitete ich für den TV-Kultursender ARTE. Dort ließ man mir freie Hand.“ Noch bevor der Film gedreht war, wusste Wolfgang, wie er aussieht. Denn: „Ich habe die Dramaturgie im Kopf.“ Als Dokumentarfilmer verschlug es ihn unter anderem auch in die berüchtigten Gefängnisse von Moskau. „Wir filmten sogar im Todestrakt, wo die Häftlinge auf ihre Erschießung warteten.“ Für „Die Hölle von Moskau“ erhielt Wolfgang mehrere Preise.

Als Dokumentarfilmer war er in der "Hölle" von Moskau
Wie zwei Russen: Wolfgang und Heilwig Mertin.

Der Vater eines Sohnes ist stolz auf jeden seiner 40 Filme. Einmal begleitete er mit der Kamera einen Priester der Don-Kosaken auf seiner Reise entlang der Flüsse Don und Wolga. Ein andermal rückte er die Fischer und Robbenzähler vom Baikalsee und die Tigerfänger von Ussuri in den Mittelpunkt seines Films. Auch die Moskauer Zirkusschule begleitete er filmisch auf ihrer Tour durch die Dörfer. Nur eine seiner Filmideen konnte er nicht verwirklichen. „Zu meinem 80er wollte ich mir ein Geschenk machen, mit einem Film über die schwebenden Brücken von St. Petersburg. Aber wegen des Ukraine-Krieges ging das nicht mehr.“

mertin
Wolfgang Mertin war 18 Jahre alt, als er Heilwig kennenlernte. Seither gehen die beiden zusammen durchs Leben.

Der Wahldornbirner schaut versonnen zum Fenster hinaus. Der Karren und der Staufen erheben sich am Horizont. Der 83-Jährige genießt den Ausblick. „Meine Frau und ich sind sehr naturverbunden. Als wir vor 13 Jahren nach Vorarlberg gekommen sind, sind wir gleich zum Alpenverein gegangen. So haben wir die hiesige Bergwelt kennengelernt.“ Für den Umzug aus Berlin gab es einen triftigen Grund: „Unser Sohn ist Tischler. Er fand in Au in der Schweiz eine Arbeit und eine Wohnung hier in Dornbirn. Die lange Fahrt von Berlin war einfach auf Dauer unzumutbar. Meine Frau und ich dachten: ,Schöner, wenn wir beieinander sind‘.”