“Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen”

Menschen / 02.05.2025 • 08:00 Uhr
"Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen"
Franz Eder lebt heute im Sozialzentrum Mariahilf in Bregenz. Roland Paulitsch

Franz Eder (95) erinnert sich noch gut an den Zweiten Weltkrieg. Dieser hätte ihn um ein Haar das Leben gekostet.  

Bregenz Franz Eder profitierte von der Gnade der späten Geburt. Er wurde am 10. Dezember 1929 geboren. Deshalb musste der Oberösterreicher nicht am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Aber er war alt genug, um die Zeichen des Krieges bewusst wahrzunehmen. Franz besuchte zwei Jahre lang die Nationalpolitische Erziehungsanstalt im Stift Seckau in der Steiermark. Das war eine der Eliteschulen im nationalsozialistischen Deutschland. Sie diente der Ausbildung des nationalsozialistischen Führungsnachwuchses. Franz erinnert sich, dass Bombengeschwader den Stift überflogen auf ihrem Weg zu den Zielgebieten wie etwa Knittelfeld. Mindestens einmal in der Woche habe es Fliegeralarm gegeben. „Dann mussten wir Schüler in den Keller.“

Fliegeralarm

Einmal hätte er sich mit einem Kollegen verbotenerweise am Sportplatz aufgehalten, als die Sirenen des Fliegeralarms schrillten. Ein Schwarm Jagdflugzeuge flog über die Jugendlichen hinweg. „Ein Bomber scherte, vermutlich wegen eines Gebrechens, aus. Er musste seine Bomben in einem Notabwurf loswerden.“ Franz suchte Schutz in einer tiefen Furche im Feld. „Es tobte und rauschte über mir. Dann hörte ich einen lauten Knall. Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen.“ Die Bomben schlugen am Waldrand ein, nur 100 Meter von Franz entfernt. Auch sein Mitschüler blieb unverletzt. „Wir liefen dann zum Wald hinüber und haben zwölf Bombentrichter gezählt. Wir haben Bombensplitter gesammelt und sie als Beute mitgenommen.“

"Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen"
Franz Eder als junger Bursche.

Franz und sein Schulkamerad kamen mit dem Leben davon. Eine Bauernfamilie in der Umgebung hatte weniger Glück. Bis auf den Sohn kamen bei dem willkürlichen Bombenabwurf alle Familienmitglieder ums Leben. „Die Gemeinde bat uns um Hilfe bei der Bergung der Toten. Wir sind dann zum Bauernhof gegangen.“ Dort bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. In dem völlig zerstörten Anwesen fanden sie die Leichen des Vaters und der Mutter. „Die Tochter lag tot unter einem Baum. Ihre Beine waren verstümmelt. Sie muss verblutet sein. Es war ein gruseliger Anblick.“

Auch Ludwig, der ältere Bruder von Franz, konnte dem entsetzlichen Wahnsinn des Krieges nicht entkommen. Ludwig war 18 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Der junge Mann meldete sich als Pilot zur Luftwaffe. „Man schickte ihn nach Russland, an die gefürchtete Ostfront.“ In Kiew wurde sein Kampfflieger abgeschossen. „Ludwig überlebte den Absturz, sein Co-Pilot starb.“ Der Bruder von Franz konnte sich aus den Trümmern befreien. „Dann kämpfte er sich in der Nacht schwimmend durch die reißenden Fluten des Dnepr.“

"Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen"
Franz Eder in jungen Jahren.

Ludwig wollte zurück in seine Heimat Oberösterreich. Auf der Flucht erkrankte er am Wolhynischem Fieber. Nach einem Aufenthalt in einem Feldlazarett schaffte es der Deserteur mithilfe von Rotkreuzzügen bis nach Österreich. „Wenn man Ludwig erwischt hätte, wäre er ins KZ gekommen oder man hätte ihn erschossen.“ Doch Ludwig überlebte den Krieg. Er wurde später Arzt.

Franz hingegen machte eine Ausbildung zum Werkzeug- und Formenbauer. 1953 übersiedelte er aus beruflichen Gründen nach Vorarlberg. Nach einigen Jahren bei der Bereitschaftsgendarmerie wechselte er zur Eisenbahn. 1955 heiratete er Magdalena, eine Vorarlbergerin. „Wir korrespondierten zwei Jahre. Dann trafen wir uns zum ersten Mal.“ Beiden war vom ersten Augenblick an klar, dass sie zusammengehören. „Schon beim Schreiben dachte ich: Das ist die Frau meines Lebens.“ Das Paar bekam vier Kinder.

"Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen"
Franz Eder mit seiner Braut Magdalena.

„Magdalena war eine großartige Ehefrau und Mutter“, sagt er über die Frau, mit der er 62 Jahre seines Lebens verbrachte. Als sie im Alter krank wurde, stand Franz ihr bei. Drei Jahre lang besuchte er sie jeden Tag im Altersheim in Gaißau. „Neben ihrem Bett stellte ich für mich einen Liegestuhl auf. Wenn sie schlief, wartete ich, bis sie aufwachte.“ 2017 starb Magdalena. Nach dem Tod seiner Frau lebte Franz allein. „Ich bin in meiner Wohnung 13-mal gestürzt.“ Deswegen zog er im Vorjahr ins Sozialzentrum Mariahilf in Bregenz. Dort fühlt sich der 95-Jährige wohl und sicher.