Oscar Peterson – der Gigant am Klavier

Der kanadische Jazzpianist wäre am 15. August 100 Jahre alt geworden.
Montreal Wenn Jazz eine Sprache ist, dann sprach Oscar Peterson sie mit einer solchen Eloquenz, Wucht und Eleganz, dass selbst seine virtuosesten Läufe nicht nur Kunststücke waren, sondern – im besten Sinne – ein Bekenntnis: zur Musik, zur Freiheit, zum Leben. Am 15. August 2025 hätte dieser Jahrhundertpianist seinen 100. Geburtstag gefeiert. Man möchte fast sagen: Er wäre es sowieso, denn seine Musik altert nicht. 1925 in einem von Disziplin, Bildungsidealen und Musik geprägten Arbeiterhaushalt in Montreal geboren, galt der junge Oscar rasch als Wunderkind. Seine aus der Karibik eingewanderten Eltern und seine Geschwister spielten in einer Familienband, in der er im Alter von fünf Jahren zunächst Trompete lernte. Aufgrund einer Tuberkulose-Erkrankung wechselte er im Alter von sechs Jahren zum Klavier, wo er von seiner Schwester Daisy unterrichtet wurde. Schon als Schüler der High School of Montreal wurde seine Klaviertechnik bewundert – nicht zuletzt, weil sein älterer Bruder ihm früh die komplexe Welt der klassischen Etüden von Czerny und Bach erschloss. Auf diesem Fundament baute Peterson mit enormer Disziplin auf. Seine linke Hand? Legendär. Sie konnte swingen wie bei Art Tatum, dessen Platten ihn traumwandlerisch begleiten sollten, und gleichzeitig Akkordblöcke wie Granitplatten platzieren – rhythmisch präzise, harmonisch kühn.

Doch es war nicht nur die Technik, die ihn auszeichnete. Peterson besaß jenen inneren Drive, der den Swing nicht nur begleitete, sondern aus ihm eine Erzählung machte: mit Einleitungen wie Dialogen, mit Soli wie Monologen und Abschlüssen, die Applaus forderten, ohne darum zu bitten. In den 1950er Jahren wurde er durch den Produzenten Norman Granz ins Zentrum der Jazzwelt katapultiert: als fester Bestandteil der Konzertreihe „Jazz at the Philharmonic“, als verlässlicher Begleiter von Ella Fitzgerald, Louis Armstrong oder Dizzy Gillespie und als Solist, der das Klavier in ein Orchester verwandelte. Wer ihm je lauschte – sei es in rasanten Liveaufnahmen wie „Live at the Blue Note“ oder in seinen feingliedrigen Soloalben der späten Jahre –, erkannte sofort: Hier spielte kein von Selbstverliebtheit getriebener Virtuose, sondern ein musikalischer Erzähler, der seine Zuhörer durch das Dickicht des Great American Songbooks führte – mit Verve, Ausdruckskraft und manchmal auch überschäumender Energie.
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Als Oscar Peterson im Jahr 2007 starb, ehrte ihn Kanada mit einem Staatsbegräbnis. Schon zu Lebzeiten wurde er mit fast allem bedacht, was einem Musiker zuteilwerden kann: mehreren Ehrendoktoraten, dem Order of Canada, einem eigenen Park in Toronto, einem Stern auf dem Walk of Fame und sogar einer Briefmarke. Doch sein wahres Denkmal ist seine Musik. Wer heute, hundert Jahre nach seiner Geburt, „Hymn to Freedom“ hört, jenes melancholisch-kraftvolle Stück, das zu einer inoffiziellen Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde, spürt, wie sehr Peterson nicht nur Klang, sondern auch Haltung war: ein Bekenntnis zur Würde, zur Freiheit und zum Dialog. Der Jazz war für ihn kein Genre, sondern ein Versprechen. Oscar Peterson war nicht immer ein Liebling der Jazzkritik. Zu glatt, zu poliert, zu perfekt hieß es gelegentlich. Doch wer sich ihm über diese Vorurteile hinweg nähert, erkennt bald: Hinter der makellosen Oberfläche tobte ein Vulkan, der nicht ausbrechen musste, weil Peterson seine Lava in Noten goss. Und vielleicht ist genau das sein Vermächtnis: dass Jazz auch Schönheit, Größe und Eleganz sein darf und dass Virtuosität, wenn sie sich in den Dienst des Ausdrucks stellt, nie Selbstzweck ist, sondern ein Geschenk. Oscar Peterson, der Gigant am Klavier, hat es uns vorgemacht.