Neue Perspektiven auf Identität

Menschen / 28.11.2025 • 12:40 Uhr
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Bei der zweiten Ausgabe der Gesprächsreihe zwischenfragen sprach Alice Hasters mit der Autorin Raphaëlle Red. Frauke Kühn

Alice Hasters und Raphaëlle Red waren zu Gast im Literaturhaus Vorarlberg.

Feldkirch Mit der zweiten Ausgabe der Gesprächsreihe zwischenfragen verwandelte sich das Literaturhaus Vorarlberg am 26. November in einen Raum des Nachdenkens über Zugehörigkeiten, Herkunft und Identität. Für diese Reihe lädt das Literaturhaus gezielt externe Experten ein, um neue Stimmen und Perspektiven in das Programm des Hauses einzubringen. Diesmal übernahm die Spiegel-Bestsellerautorin und „Kulturjournalistin des Jahres 2020“ Alice Hasters die Kuratorenschaft und führte an diesem Abend das Gespräch mit ihrer Kollegin, der Autorin Raphaëlle Red.

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Frauke KühnAlice Hasters.

Raphaëlle Red wurde 1997 in Paris geboren und wuchs in Berlin auf, wo sie auch heute lebt. Sie studierte Sozialwissenschaften, forschte und lehrte zur zeitgenössischen Literatur der afrikanischen Diaspora und wendete sich dann dem literarischen Schreiben zu. Raphaëlle Red schreibt auf Französisch, Englisch und Deutsch. Ihre deutschsprachigen Texte sind bereits in den Anthologien Resonanzen und Glückwunsch erschienen. Ausgangspunkt des Abends waren Passagen aus Reds Debütroman Adikou, in dem die gleichnamige Protagonistin von Frankreich über New York bis nach Togo und Ghana reist – auf der Suche nach ihren Wurzeln. Kurze Lesestellen öffneten den Raum für ein Gespräch über Zuschreibungen und die Suche und Sehnsucht nach Herkunft, aber auch über das Navigieren zwischen Kulturen und Erwartungen.

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Frauke KühnRaphaëlle Red.


Hasters und Red rückten die Ursachen von Zugehörigkeitskonflikten ins Zentrum. Obwohl beide ein klares Gefühl dafür haben, wohin sie gehören, werde diese Selbstverortung von außen immer wieder infrage gestellt. Fragen wie „Woher kommst du wirklich?“ – vielen Menschen mit Migrations- oder Diasporaerfahrung nur allzu vertraut – stehen sinnbildlich für eine zugeschriebene Nichtzugehörigkeit, die innere Zerrissenheit erzeugt. Diskutiert wurde auch, wie Identitäten von People of Color in Frankreich, den USA, Österreich und Deutschland unterschiedlich wahrgenommen und benannt werden – und wie dadurch soziale Machtverhältnisse manifestiert werden.
Die verschiedenen Spiegel, in die die Figur Adikou auf ihren Reisen immer wieder blickt, stehen exemplarisch für ein Motiv, das auch den Autorinnen vertraut ist: Das Sich-selbst-Erkennen als Akt der Selbstversicherung in einer Welt, in der Körper von Schwarzen Frauen häufig unsichtbar gemacht werden.
Am Ende des Abends rückte der Begriff der Postzugehörigkeit in den Mittelpunkt. In einer Gegenwart, in der Algorithmen multiple Wirklichkeiten erzeugen und jeder seine eigene Realität auf dem Smartphone konsumiert, gewinnen die Perspektiven von Menschen mit diasporischen Erfahrungen zunehmend an Bedeutung. Die Autorinnen plädierten dafür, Zugehörigkeit nicht als starre Grenze, sondern als bewegliches Gefüge zu verstehen.


Spannungen auszuhalten und zu verhandeln, Diskriminierung klar zu benennen und marginalisierte Stimmen hörbar zu machen – all das, so das Fazit der Gesprächspartnerinnen, sei Voraussetzung für echte Gemeinschaft. Oder, wie James Baldwin es formulierte und Hasters zitierte: „Zu wem gehörst du? – Zu dir.“