Gerald Matt

Kommentar

Gerald Matt

Einmischen statt Wegschauen

24.04.2019 • 14:59 Uhr

Am Ende von Erich Kästners Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ stürzt ein kleiner Junge ins Wasser: „Da zog er – Fabian – die Jacke aus und sprang, das Kind zu retten, hinterher. Zwei Straßenbahnen blieben stehen. Die Fahrgäste kletterten aus den Wagen und beobachteten, was geschah. Am Ufer rannten aufgeregte Leute hin und wieder. Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.“

Fabian ist eine jener typischen verlorenen Figuren der Zwischenkriegszeit, zögernder, intellektueller Beobachter, der das heraufdämmernde Dritte Reich zwar ablehnt, aber nicht bereit ist, sich zu engagieren oder gar zu kämpfen. Als er zum ersten Mal Flagge zeigt, scheitert er und ertrinkt, denn er hat das Schwimmen nie gelernt.

„Wir sollten stolz auf unsere Jungen sein, die wieder auf die Straße gehen.“

Kästner ironisiert dies auch mit dem Satz: „Ich warte auf den Sieg der Anständigkeit, dann könnte ich mich zur Verfügung stellen.“ Fabians Tod ist eine Metapher für das Versagen einer ganzen Generation, die sich nicht bereit fand, sich zu engagieren, die lieber abwartete, zusah und den Missbrauch und Verrat aller Werte mit „interesselosem Missfallen“ hinnahm .

Hanna Arendt hielt 1965 eine Vortragsreihe „Über das Böse“, u.a. warnte sie : „Diese Indifferenz stellt, moralisch und politisch gesprochen, die größte Gefahr dar, auch wenn sie weit verbreitet ist. Und damit verbunden und nur ein bisschen weniger gefährlich ist eine andere gängige moderne Erscheinung: die häufig anzutreffende Tendenz, das Urteilen überhaupt zu verweigern. (. . .) Darin liegt der Horror des Bösen und zugleich seine Banalität.“

Sowohl in Kästners als auch Arendts Moral ging es nicht nur um das niemals endende Abwägen von „Gut“ und „Böse“, sondern vor allem auch um die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Erich Kästner brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Trägheit des Herzens

Es ist die Acedia, die Feigheit und Trägheit des Herzens, die menschliche Indifferenz und Selbstgerechtigkeit, die uns zu zynischen untätigen Beobachtern macht, die Passivität statt Engagement und Wegschauen anstelle von Einmischung nach sich zieht. Hier können wir etwas lernen vom Engagement junger Menschen, die abseits unserer lächerlichen und längst anachronistischen Grabenkämpfe zwischen „lechts und rinks”, wie Ernst Jandl einmal despektierlich dichtete, ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft verteidigen. Wir sollten stolz auf unsere Jungen sein, die wieder auf die Straße gehen und unter „Fridays for Future” nicht zuletzt gegen uns protestieren, gegen eine Generation, die ihren Eigennutz, Komfort und den Fetisch Wachstum vor die Zukunft ihrer Nachkommen und einer lebenswerten Welt stellen. In ganz Europa zeigt zudem ein wachsender Antisemitismus wieder seine hässliche Fratze, der viele unserer jüdischen Mitbürger in Angst versetzt und in die Auswanderung treibt. In Österreich sprechen Überlegungen zu einer Präventivhaft, die man in dunklen totalitären Zeiten zynisch zur „Schutzhaft“ verklärte, einem Rechtsstaat Hohn.

Wenn wir an all diese gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen denken, dann werden wir alle mehr Eigenverantwortung, Mut und Engagement benötigen, wenn wir nicht das Schicksal Fabians teilen wollen.

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.