Der Hausberg zum Greifen nah

12.08.2023 • 05:00 Uhr
UMWELTFREUNDLICH Die Station ist auf bestehenden Stützen errichtet, in das Ortsbild integriert, heimische Lieferanten wurden beteiligt, regionale Baustoffe verwendet, eine ökologische Baubegleitung realisiert.

Leben und Wohnen: Um 1930 gebaut und etwa 50 Jahre später durch eine Bahn auf anderer Trasse ersetzt, entsprach die Nebelhornbahn zuletzt nicht mehr den heutigen Anforderungen und war für den ansteigenden Tourismus in den Bergen viel zu klein geworden. So hatten die alten Betongebäude der Talstation nach knapp 90 Jahren ausgedient.

Text: Tanja Kronibus, Fotos: Bruno Klomfar

Wenn man die alte Nebelhornbahn in Oberstdorf im Allgäu von früher kennt, ist es schön zu erleben, welchen Mehrwert die neue Talstation bietet. Die Bahn wurde ursprünglich außerhalb des Stadtzentrums gebaut. Da Oberstdorf als renommiertes Sommer- und Wintersportzentrum immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und die Marktgemeinde stark gewachsen ist, liegt heute die Bahnstation mitten im Zentrum. Die prägnante Lage der Station bestimmte das städtebauliche und architektonische Konzept des ausgewählten Wettbewerbs-projektes von Hermann Kaufmann Architekten.

Der Hausberg zum Greifen nah
NACHBARSCHAFT Hauptachsen, Wege, Brücken und Plätze rund um das Ensemble der Talstation werden zu Flaniermeilen und lassen die Nachbarschaft und den Ort neu entdecken.

Um eine behutsame Weiterentwicklung der umgebenden kleinteiligen Bebauungsstruktur zu ermöglichen, sind die verschiedenen Funktionsbereiche der neuen Talstation auf drei Baukörper verteilt: das Stationsgebäude, das Servicecenter und die Verwaltung. Diese ordnen die Außenräume neu und fügen sich zu einem einprägsamen, attraktiven Ort zwischen Zentrum und Landschaftsraum.

Der Hausberg zum Greifen nah

In Verbindung mit dem denkmalgeschützten, 400 Jahre alten Trettachhäusl, in dem heute eine Galerie zeitgenössische Kunst ausstellt, bildet das Bahngebäude mit dem Servicecenter einen verkehrsbefreiten Platz und gleichzeitig den Abschluss der Fußgängerzone. Hier können sich die Passanten Orientierung verschaffen, sich sammeln und verweilen.

Der Hausberg zum Greifen nah
Im Servicecenter sind die Deckenoberflächen aus rauen Lärchenleisten unterschiedlichen Querschnitts. Diese schaffen eine angenehme Akustik und machen die Rauheit der Bergwelt spürbar.


Das transparent gestaltete Stationsgebäude ist ein klar gerichteter Baukörper, der die Bahntechnik frei überspannt und mit dieser nicht in Verbindung steht. Durch eine regelmäßige Reihung von 39 Holzbögen in Parabelform, die von gebogenen Sicherheitsgläsern umhüllt sind, entsteht ein transparentes, schimmerndes Volumen, das Leichtigkeit und Offenheit ausstrahlt. Je nach Fahrtrichtung wird die Struktur als Tor in die Berge oder ins Tal wahrgenommen.

Der Hausberg zum Greifen nah
Im gesamten Gebäude wurde Holz als konstruktives und ge- stalterisches Element eingesetzt. Der stimmige Gesamteindruck bis hin zum Shop vermittelt eine angenehme Ruhe und Großzügigkeit.

Von außen ist die Technik der Bergbahn erlebbar und die Umgebung spiegelt sich reizvoll in der Glasfassade. Im Innenraum fasziniert die Leichtigkeit der Kons-
truktion und die Offenheit zur Umgebung. Geschützt vor Wind und Wetter kann man die wechselnden Wolkenstimmungen erleben und die Schönheit der Bergwelt bewundern. Der Verwaltungsbau ist unmittelbar an die Station angebunden, um einen reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten. Die gesamte Anlieferung für den Seilbahnbetrieb und die Gastronomie finden auf kurzem Wege im Erdgeschoss statt. Die Büros sind im ersten Obergeschoß, von wo aus man einen guten Überblick über die Geschehnisse an der Station hat. Der Bau ist in Mischbauweise errichtet, mit Decken und einem Erschließungskern aus Stahlbeton. Die Wände sind nicht verkleidet, der ausgewaschene Beton lässt die Rauheit der Bergwelt im Innenraum spüren. Die Fassade ist aus unbehandeltem sägerauen Lärchenholz, welches aus lokalen Wäldern gewonnen ist.

Der Hausberg zum Greifen nah
Der Hausberg zum Greifen nah
Über die Trettach-Brücke hinter der Talstation gelangt man zum Eissportzentrum, wo Olympische Größen auf dem Eis trainieren und zu bewundern sind. Von hier sieht man die Gondeln der Bergbahn fliegen.


Das lang gestreckte Servicecenter trennt den motorisierten Verkehr und die Parkflächen von einem großzügigen Platz in Verlängerung der Fußgängerzone. Das Gebäude umfasst verschie-dene Nutzungseinheiten, darunter die Kassenhalle der Nebelhornbahn, einen großen Skiverleih im Erdgeschoß und ein Servicecenter im Untergeschoß. Aufgrund des abfallenden Geländes konnten das Untergeschoß und eine Tiefgarage entstehen. Das Servicecenter ist somit über ein offenes Treppenhaus erreichbar und direkt an die Tiefgarage einladend und ohne Zugangsschleuse angeschlossen. In diesem Gebäude wurde Holz als konstruktives und gestalterisches Element eingesetzt.

Der Hausberg zum Greifen nah
Über das offene Treppenhaus gelangt man ins Untergeschoß des Servicecenters und in die Tiefgarage. Die Materialität und Großzügigkeit zieht sich durch und bietet Komfort.
Der Hausberg zum Greifen nah

Die Fassade ist aus sägerauem Lärchenholz. Die Decken innen weisen eine offene und sehr raue Oberfläche aus Lärchenleisten unterschiedlichen Querschnitts auf. Das gibt einen Vorgeschmack auf das Naturerlebnis und ist gut für die Akustik. Die Bewohner(innen) von Oberstdorf haben die neue Talstation sofort in ihr Herz geschlossen und nennen diese tatsächlich, wie schon in der Entwurfsidee angedacht, liebevoll ihr „Tor in die Berge“. Die neue Nebelhornbahn lädt auf eine spannende Reise über 5,7 Kilometer und 1400 Höhenmeter in die alpine Erlebniswelt der Allgäuer Alpen ein. Die Luftseilbahn zum Hausberg von Oberstdorf gilt als eine der längsten Personenschwebebahnen der Welt. Am Gipfel des Nebelhorns ermöglicht der Spaziergang über den Nordsteig den Rundumblick auf 400 Gipfel.

Daten und Fakten

Objekt Nebelhornbahn Talstation, Oberstdorf

Bauherr Nebelhornbahn AG

Architektur HK Architekten, Hermann Kaufmann + Partner ZT GmbH, Schwarzach

www.hkarchitekten.at

Projektleitung: DI Stefan Hiebeler

Statik merz kley partner ZT, Dornbirn

www.mkp-ing.com

Fachplanung Glasbau: Glas Marte, Bregenz; Brandschutz: idl, Oberstdorf; Bauphysik. DI Bernhard Weithas, Lauterach; Elektro: Uhlemayr, Seeg (D)

Planung 06/2017–03/2020

Ausführung 03/2020–04/2021

Nutzfläche 2103 m²

Bauweise Bahngebäude Holzbau; 39 parabelförmige Dreigelenksbögen aus Lärchenleimbindern; Fassade: Glashaut; Servicegebäude Holzkonstruktion; Fassade Lärche; Verwaltungsgebäude Mischbauweise: Decken Stahlbeton, Hülle in Holzelementbauweise; Fassade: Lärche

Besonderheiten Transparenz und Schallschutzanforderung ermöglicht durch regional hergestellte Glashülle

Ausführung Glasbau: Glas Marte, Bregenz; Holzbau u. Innenausbau: Fetz, Egg; Schlosser: Felder, Andelsbuch

Baukosten 11 Mio. Euro

Eine Baukulturgeschichte von Vorarlberger Architektur Institut (vai).

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at