Vom Schicksal hart gebeutelt

Andrea Erhard (57) erlitt mehrere Schicksalsschläge. Die Kette unglücklicher Geschehnisse riss nach einem Autounfall im Jahr 2003 nicht mehr ab.
Schruns Manchmal fragt sich Andrea Erhard (57), warum sie in ihrem Leben schon so viel mitmachen musste. Nach einem schweren Autounfall im Jahr 2003 riss die Kette von unglücklichen Geschehnissen nicht mehr ab.
Am 1. Dezember 2003 war Andrea mit ihrem Auto in Richtung Silbertal unterwegs. In einer Rechtskurve prallte sie mit ihrem Pkw in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Die Feuerwehr musste die zweifache Mutter mit der Bergeschere aus dem demolierten Auto befreien. Im Spital wurde die Montafonerin notoperiert. „Mein linker Oberschenkel, mein linker Oberarm und meine Zehen am linken Fuß waren gebrochen. Zudem hatte ich einen Kreuzbandriss“, zeigt sie auf, wie schwer verletzt sie war. An den Unfall selbst kann sich Andrea nicht mehr erinnern. „Auch das halbe Jahr vor dem Unfall ist gelöscht.”

Nach ein paar Monaten im Krankenstand kehrte sie auf Krücken an ihren Arbeitsplatz zurück. „Ich war Kassiererin in einem Supermarkt. Diesen Job habe ich für mein Leben gern gemacht.“ Aber sie war andauernd mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Aufgrund einer Überfunktion der Schilddrüse bekam sie Probleme mit den Augen. „Meine Augen traten hervor. Auch die Sehkraft ließ an beiden Augen immer mehr nach.“ Im August 2006 musste sie sich deswegen einer großen Kopf-Operation in der Innsbrucker Klinik unterziehen. „Meine Schädeldecke wurde geöffnet. Dann haben mir die Ärzte die Augenposition korrigiert.“ Zwölf Stunden dauerte die heikle OP. „Der Arzt sagte mir, dass er eine solche Operation nur drei Mal im Jahr macht.“

Drei Jahre später, im Jahr 2009, kam es aufgrund fortschreitenden Sehverlustes zu einem weiteren schweren Eingriff – Andrea unterzog sich in der Innsbrucker Klinik einer Hornhauttransplantation am linken Auge. „Dann sah ich für einige Zeit wieder besser.“

Zu den gesundheitlichen Problemen gesellten sich private Schwierigkeiten. Im Jahr 2010 trennte sich die Mutter eines Sohnes und einer Tochter von ihrem Mann, den sie 1987 geheiratet hatte. „Ich bin in eine 27 Quadratmeter große Mietwohnung in Schruns gezogen. Von zu Hause habe ich nur meine Kleidung mitgenommen.“ Die Trennung tat ihr zwar psychisch gut. „Ich blühte auf.“ Aber sie stürzte sie auch in Armut. „Nur dank der Hilfe meines Vaters konnte ich mich einrichten und Haushaltsutensilien kaufen. Er hat mir manchmal auch einen Korb voller Lebensmittel gebracht.“ Andrea, die sich im Jahr 2012 scheiden ließ, brachte sich mit 280 Euro im Monat durch. „Ich bin stolz auf mich, dass ich nie Schulden machte und nie ins Minus kam.“
Die Montafonerin arbeitete immer gern. „Ich komme auf 39 Arbeitsjahre.“ Aber weil ihr Augenlicht immer schlechter wurde, wurde es für die Supermarkt-Kassiererin am Arbeitsplatz zunehmend schwieriger. „Ich konnte die Strichcodes nicht mehr richtig erkennen.“ Die sehbehinderte Frau ging in den Krankenstand und suchte im Jahr 2020 um Berufsunfähigkeitspension an. Mittlerweile war sie auch an Gebärmutterhalskrebs erkrankt. „Mir musste die Gebärmutter entfernt werden.“ Aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes wurde Andrea zunächst Rehabilitationsgeld und später auch Pflegegeld (Stufe 1) zuerkannt.

Inzwischen traut sich die leidgeprüfte Frau wegen ihrer Sehbehinderung nicht mehr allein spazieren zu gehen. „Ich gehe kaum raus. Mein linkes Auge hat nur mehr eine Sehkraft von fünf Prozent, mein rechtes hat noch eine Leistung von 30 Prozent.“ Am wohlsten und sichersten fühlt sie sich in ihren eigenen vier Wänden. Nur der Weg zur Waschküche ist ein Spießrutenlauf, weil er über mehrere Treppen führt.
Eine Welt brach für sie zusammen, als vor ein paar Wochen zwei Bescheide ins Haus trudelten. „In den zwei Schreiben steht, dass mir das Rehabilitationsgeld und das Pflegegeld mit Ende März entzogen werden.“ Begründet wurde dies so: „Die Wiederbegutachtung hat ergeben, dass sich der Gesundheitszustand von Andrea Erhard kalkülsrelevant soweit gebessert hat, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt.“ Die kranke Frau, die immer noch gegen den Krebs kämpft, ist am Boden zerstört. „Wie soll ich mich jetzt durchbringen? Aufgrund meiner Sehbehinderung kann ich doch nicht mehr arbeiten. Ich bin so verzweifelt, dass ich schon daran gedacht habe, mir das Leben zu nehmen.“