Blechmond über Kinderleichen

11.02.2025 • 14:46 Uhr
Macbeth
Die musikalische Gestaltung durch den Dirigenten Carlo Goldstein war die Grundlage für diese hervorragende Aufführung. Edyta Dufaj

Überwältigender „Macbeth“ an der Oper St. Gallen.

St. Gallen Wie soll man über eine Aufführung schreiben, die einen sprachlos gemacht hat vor Erschütterung und Begeisterung? Der Neuproduktion von Verdis „Macbeth“ in St. Gallen ist genau dies gelungen: drei Stunden ganz großes Musiktheater, musikalisch wie szenisch packend, durchdacht und fantasievoll bis zum Schluss. Mit Bildern, die im Gedächtnis bleiben, wie dem riesigen Mond aus gehämmertem Blech über den parallel ausgestreckten Leichen der drei Kinder von Macduff, die Macbeth gerade eigenhändig erdrosselt hat.

Macbeth
Macbeth in St. Gallen: Drei Stunden ganz großes Musiktheater. Edyta Dufaj

„Macbeth“ nach der Tragödie von Shakespeare gilt als sperrige Oper, die es auf den Spielplänen lange schwer hatte: Es gibt keine Liebeshandlung, außer der vom Machthunger der Lady vergifteten Beziehung zwischen Macbeth und seiner Frau, Mord und Wahnsinn bestimmen das Geschehen. Krystian Lada, der Regie, Bühnenbild und Videos verantwortet, lässt die Geschichte in einem Halbrund abrollen, mit einem achteckigen Podium in der Mitte und halbtransparenten Lamellen als Hintergrund, die unterschiedlich beleuchtet werden (Licht: Aleksandr Prowaliński).

Macbeth

Ein in verschiedenen Farben leuchtender Lichtring fungiert mal als Machtsymbol, mal symbolisiert er den Hexenkessel. Adrian Bärwinkel hüllt die Männer in Schottenröcke und die Damen des Hexenchores in fantasievoll bunte Kleider. Umwerfend das weiße Kostüm des Königs mit einem überdimensionierten Federhut und die riesigen, fellbehangenen Kilttaschen, die die ölglänzenden Bodybuilder im 3. Akt tragen.

Macbeth

Die szenische Reduktion kommt der Konzentration auf das psychische Geschehen und die Musik zugute. Der junge Bariton Vincenzo Neri als Macbeth, vor einigen Jahren noch als Conte Almaviva im Opernstudio der Bregenzer Festspiele zu hören, ist einfach überragend: Wie er die Rolle dieses in seiner Männlichkeit in Frage gestellten und als Mörder von Gewissensbissen verfolgten Charakters gestaltet, wie er seinen wunderschönen, kraftvollen Bariton strömen lässt, aber auch wieder bis zu fast tonlosem Singen abschattet, das sucht seinesgleichen.

Macbeth

Grandios die Regieidee, während der Ballettmusik seinen Kopf in zweifacher Ausfertigung auf den Gazevorhang zu projizieren und den aufkommenden Wahnsinn in seiner Mimik deutlich zu machen, mit gefletschten Zähnen wie bei Jack Nicholson in „Shining“.

Macbeth

Als sein Alter Ego fungiert der kriegsversehrte Tänzer Mohammad Al Haji. Ihrem Gatten ebenbürtig ist Libby Sokolowski als Lady Macbeth, deren dunkler Sopran im Brustregister kraftvoll tönt und in den Höhen alles überstrahlend explodiert, in der Wahnsinnsszene dann mit leiseren Tönen aufhorchen lässt.

Macbeth

Der metallische Bass von Brent Michael Smith als Banco und der kräftige Tenor von Brian Michael Moore als Macduff sowie Mack Wolz als Lady Malcolm, Sungjune Park als Malcolm und Jonas Jud als Arzt und Mörder komplettierten die exzellenten Gesangsleistungen, nicht zu vergessen der fantastisch singende und agierende Frauenchor der Hexen.

Macbeth

Grundlage für diese herausragende Aufführung war aber die musikalische Gestaltung durch den Dirigenten Carlo Goldstein. Gemeinsam mit der Regie und den Sängern gelang es ihm, das mörderische Geschehen psychisch plausibel zu machen und sogar Mitgefühl mit den Protagonisten zu erzeugen. Der heimliche Star dieser Aufführung war für die meisten unsichtbar: das Orchester der Oper St. Gallen, das unter seiner Leitung vom ersten Takt an durch Präzision und Intensität bestach und Verdis Musik zu kraftvollem Leben erweckte.

Ulrike Längle