Zufall, Wunder, Glück?

13.06.2025 • 12:17 Uhr
PK, Landestheater, Pressekonferenz anlässlich eines gemeinsamen Projekts mit dem Franz-Michael-Felder-Verein und Autor Felix Mitterer, Walter Fink und Stephanie Gräwe

VN-Kommentar von Walter Fink.

Ich weiß schon, mit der Verwendung des Wortes „Wunder“ soll man vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Noch lange nicht jedes nicht sofort erklärbare Ereignis ist ein Wunder, vielmehr ist es schlichter Zufall. Oder ganz einfach ein Glück, dass die Dinge so zusammengetroffen sind. Aber letztlich ist es ja auch völlig belanglos, wie wir etwas, das uns an Gutem oder Schönem widerfahren ist, benennen. Beeindruckt hat es uns allemal.

So war es am vergangenen Pfingstwochenende. Wir machten uns mit Freunden auf ins Südtirol, wollten wieder einmal einige der großen romanischen Plätze im Vinschgau, von denen es hier so viele gibt, sehen. Wir machten eine erste Station bei der höchstgelegenen Benediktinerabtei Europas auf 1340 Metern Höhe, Kloster Marienberg. In der Krypta aus dem 12. Jahrhundert finden sich über den gesamten „Himmel“ Engel, die schönsten der Welt, wie ich meine, Cherubim, Seraphim mit sechs Flügeln, die eine unglaubliche Anmut ausstrahlen. Natürlich gingen wir nach Naturns, zum Kirchlein von St. Prokulus aus dem 8. Jahrhundert. Da ist der berühmte „Schaukler“, der zwar nicht schaukelt, sondern den verfolgten und über die Mauern von Verona fliehenden Prokulus darstellt. Die vorromanischen Fresken – die Männer mit den auffallenden Augen, die Viehherde – gehören zum Beeindruckendsten, das wir aus dieser Zeit kennen.

Dann war da noch unser Besuch in Müstair. Über die kleine, alte Stadt Glurns, noch umgeben von einer Stadtmauer, fährt man – vorbei an Taufers im Münstertal, wo an einer Kirche aus dem 12. Jahrhundert an der Außenwand der älteste, monumentale Christophorus in Tirol zu sehen ist – zum Benediktinerinnenkloster St. Johann. Eine imposante Anlage im rätoromanischen Val Müstair aus karolingischer Zeit. Im achten Jahrhundert soll das Kloster von Karl dem Großen gegründet worden sein, eine übermannsgroße Statue in der Kirche weist auf den Stifter hin. Hier ist der einzige Platz der Welt, mit dem größten und am besten erhaltenen Freskenzyklus aus dem Frühmittelalter. Karolingische und romanische Malereien schmücken die Wände und die drei Apsiden. Gegen solch kunsthistorische Giganten verschwindet ein kleines romanisches Marmorrelief an der Nordwand der Kirche fast. Es stellt die Taufe Christi durch Johannes den Täufer dar. In der Mitte Johannes, im Jordan stehend, über ihm die Taube als Symbol des Geistes, an seiner rechten Seite Jesus, an der linken ein Engel.

Wieder zurück im Land lese ich die Zeitung nach und mein Blick bleibt an einem Bild hängen: Dem Relief der Taufe durch Johannes, einem Artikel über Pfingsten beigefügt. Dieses kleine, großartige Kunstwerk, kaum in Müstair bewundert, nun hier abgebildet. Wie gibt es diese Duplizität der Ereignisse? Wie verirrt sich dieses wunderbare, meist unbeachtete Kunstwerk in unsere Zeitung? Zur Draufgabe: Zu Hause lese ich ein neues Buch (Constance Hotz, Vier Tage im März, Verlag 8 grad). Und schon wieder Müstair, die Fresken, Johannes im Mittelpunkt. Ich weiß schon: Kein Wunder, vielleicht Zufall. Zumindest aber großes Glück.