Leserbriefe: Politische Verantwortung sieht anders aus

Mit großer Verwunderung beobachte ich die jüngsten Reaktionen der ÖVP-Spitze und insbesondere von Bundeskanzler Christian Stocker im Zusammenhang mit der Diversion von August Wöginger. Dass eine Diversion – also eine außergerichtliche Einigung bei wahrscheinlicher Schuld – nun öffentlich als Freispruch gefeiert wird, ist nicht nur irreführend, sondern auch ein Schlag ins Gesicht für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich politische Integrität und Transparenz wünschen. Wöginger hat sich nicht einem Urteil gestellt, sondern einem Verfahren entzogen, indem er eine Geldstrafe akzeptierte. Das mag juristisch zulässig sein, aber politisch ist es ein Armutszeugnis. Wer in einem Verfahren wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch involviert ist, sollte nicht triumphieren, sondern Verantwortung übernehmen – und das bedeutet in einer funktionierenden Demokratie auch, Konsequenzen zu ziehen. Die ÖVP scheint sich zunehmend von einem gesunden Verständnis politischer Ethik zu entfernen. Die Bürger verdienen Politiker, die sich nicht nur an Gesetze halten, sondern auch an moralische Grundsätze. Ein Rücktritt Wögingers wäre das Mindeste gewesen – stattdessen erleben wir eine Selbstbeweihräucherung, die das Vertrauen in die Politik weiter untergräbt.
Walter J. Gabriel, Göfis