Mehr gehört als gelesen

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Mehr gehört als gelesen
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VN-Kommentar von Walter Fink.

Ich bin kein besonderer Kenner von Thomas Mann, habe viel mehr über ihn gehört als von ihm gelesen. Gerade in jüngerer Zeit wieder, da sich seine Erinnerungsdaten häuften. Geboren 1875 in Lübeck, gestorben 1955 in Zürich – allein die Orte von Geburt und Tod deuten schon auf die Tragik, die das Leben von Künstlern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begleitet hat, zudem der Hinweis auf den 150. Geburtstag und den 70. Todestag. Thomas Mann war ein großer Dichter, nicht nur, weil er 1929 für seinen Roman „Buddenbrooks – Verfall einer Familie“ mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. »Es ist eine hervorragende Arbeit, redlich, positiv und reich«, urteilte S. Fischers Lektor Moritz Heimann nach der Lektüre des Manuskripts über Thomas Manns ersten Roman, seinen wohl am meisten gelesenen, am meisten verbreiteten. Die Nobelpreis-Jury begründete, dass das Werk “im Lauf der Jahre eine immer mehr sich festigende Anerkennung als ein klassisches Werk der zeitgenössischen Literatur gewonnen hat.”

Sonderbar übrigens, dass „Buddenbrooks“ in verschiedenen Ausgaben völlig unterschiedlichen Umfang aufweist: In einer Taschenbuchausgabe gibt es beispielsweise 1168 Seiten zu lesen, in gebunden Ausgaben meist um die 800 Seiten – genug „Arbeit“ allemal, aber doch auffallend unterschiedlich. Ebenso interessant, dass Mann enttäuscht war, den Nobelpreis für die 1901 erschienenen „Buddenbrooks“ zu erhalten, denn er hätte sich diesen Preis mehr für den erst 1924 aufgelegten „Zauberberg“ gewünscht. Mir war Mann in seinen Novellen – etwa „Tonio Kröger“ oder „Der Tod in Venedig“ – immer näher als in seinen großen Werken. Wie immer – Thomas Mann wurde durch den Preis zum Weltstar der Literatur, was ihm in seiner späteren Zeit des Exils geholfen hat.

Immer wieder findet man in Manns Literatur homoerotische Erlebnisse, beispielsweise in „Der Tod in Venedig“, er lebte seine Homosexualität aber nicht aus – sondern heiratete. Mit seiner Frau Katia hatte er sechs Kinder, von denen vier – Erika, Klaus, Golo und Monika – ebenso wie sein Bruder Heinrich Schriftsteller waren. Mit dem älteren Heinrich verband Thomas nicht gerade geschwisterliche Liebe, vielmehr gab es immer wieder handfeste Konflikte, weniger in Sachen Literatur als vielmehr in weltanschaulich-politischen Fragen. Erst in ihrer gemeinsamen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus fanden sie sich geeint.

Thomas Mann nannte den Nationalsozialismus „eine Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit“ mit „Massenkrampf, Budengeläut, Halleluja und derwischmäßigem Wiederholen monotoner Schlagworte, bis alles Schaum vor dem Munde hat“. Die Manns gingen 1933 ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die Schweiz und schließlich in die USA. Erst 1952 kehrte Thomas Mann in die Schweiz zurück, wo er bis zu seinem Tod lebte. Wie gesagt: Ich habe mehr über ihn gehört als von ihm gelesen. Das Gedenkjahr wäre eine gute Möglichkeit, das endlich zu ändern. Ich nehme mir das vor.