Die Uhr tickt

Politik / 05.03.2019 • 22:44 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Brexit-Aufschub: EU-Wahl macht die Sache kompliziert.

london In weniger als vier Wochen, am 29. März, will das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen. Schafft es Premierministerin Theresa May bis dahin nicht, den mit Brüssel ausverhandelten Austrittsdeal durch das britische Parlament zu bekommen, droht ein ungeregelter Chaos-Brexit. Das Abkommen war im Jänner mit großer Mehrheit im Unterhaus gescheitert. Größter Zankapfel ist der sogenannte Backstop, der eine offene Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Landesteil Nordirland sicherstellen soll. Kritiker sehen darin einen Versuch, Großbritannien dauerhaft eng an die Union zu binden. Sie drängen auf Nachverhandlungen, was Brüssel aber ablehnt. Wie der Konflikt gelöst werden könnte, bleibt unklar. Als Ausweg zeichnet sich immer mehr eine Verschiebung des Austrittstermins ab. Zuletzt hatte May ihren Widerstand gegen einen Aufschub aufgegeben.

„Technische“ Verlängerung

Einem solchen Szenario müssten auch alle verbleibenden 27 EU-Staaten zustimmen. Brüssel hat bereits Offenheit signalisiert, sofern es von den Briten eine hinreichende Begründung gibt. An einer „technischen“ Verlängerung werde man ohnehin nicht vorbeikommen, sagt die britische Politologin Melanie Sully, die in Wien das „Go Governance“-Institut leitet. „Selbst wenn alles gut geht für May, und der Brexit-Deal im Unterhaus angenommen wird.“ Immerhin müsste das entsprechende Gesetz dann auch noch im Parlament beschlossen werden. Außerdem ist die Zustimmung des europäischen und des irischen Parlaments notwendig. Dies müsste vor der EU-Wahl im Mai abgeschlossen sein. Doch was passiert, wenn die britischen Abgeordneten dem Deal erneut eine Absage erteilen? Das Unterhaus soll bis 12. März darüber abstimmen. Scheitert May, entscheiden die Mandatare wohl am Tag darauf über einen Austritt ohne Vertrag. Wird auch diese Option abgelehnt, gibt es eine Abstimmung über eine Verschiebung des Brexit. Offen ist, wie lang diese ausfallen könnte. May schweben maximal drei Monate vor. Es bleibt aber fraglich, was sich in dieser Zeit großartig ändern soll. Medienberichten zufolge denkt die EU vielmehr über einen Aufschub von bis zu zwei Jahren nach. „Die Premierministerin versucht bereits, mit einem solchen Szenario Druck auf die konservativen Brexit-Befürworter auszuüben“, erläutert Sully. „Dann stellt sich nämlich die Frage, ob es überhaupt zum Austritt kommt.“ Die Brexit-Fans stünden einem längeren Aufschub indes gar nicht so feindlich gegenüber. Dadurch wäre es möglich, den Brexit-Deal und damit den Backstop abzuschreiben und gleich mit der EU über die zukünftigen Beziehungen zu verhandeln, mutmaßen sie.

Darüber hinaus hat die Sache einen weiteren Haken: Die Wahl zum EU-Parlament. Sie findet vom 23. bis 26. Mai statt (in Österreich am 26. Mai); die konstituierende Sitzung ist am 2. Juli. Wird der Brexit verschoben, so dass Großbritannien noch Mitglied ist, muss das Land an der Wahl teilnehmen, wie eine Sprecherin des EU-Parlaments bestätigt. Ansonsten würde London gegen EU-Recht verstoßen. Dann könnte es ein Vertragsverletzungsverfahren geben. Auch Klagen von Bürgern, die sich um ihr Wahlrecht betrogen fühlen, wären möglich. VN-RAM

„May versucht auch, Druck auf konservative Brexit-Befürworter auszuüben.“

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