Arbeiten Expertenminister anders?

Ex-Minister Weiss erklärt, wie sich die Regierungspolitik vor der Neuwahl noch verändern könnte.
WIen Die Wirklichkeit schreibe die interessantesten Geschichten, auch wenn es schreckliche sein können, sagt Jürgen Weiss. Der frühere ÖVP-Föderalismusminister und Ex-Bundesratspräsident kann sich an keinen Skandal in der großen Dimension der Ibiza-Affäre erinnern: “Meine Fantasie hätte nicht so weit gereicht.” An der Neuwahl habe kein Weg vorbeigeführt.
Seit Mittwoch regieren mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) statt der FPÖ vier Expertenminister. Sie sind vollwertige Mitglieder der Übergangsregierung, aber “ein Signal, dass sie losgelöst von parteipolitischen, regionalen oder sonstigen Überlegungen” stehen, sagt Weiss. Ihre Ressortführung würde sich zu jener anderer Ministerin aber nicht unterscheiden. Nur ihr Kabinett falle vermutlich kleiner aus, da die parteipolitische Ausrichtung nicht so viel Beachtung finde. Für die Beamten gehe die Arbeit weiter wie gewohnt. Einziger Unterschied könnte sein, dass die Expertenminister enger mit ihnen zusammenarbeiten. “Das wäre auch sonst vernünftig”, erklärt der frühere Ressortchef.
Wie die Austria Presse Agentur erfahren hat, werden die Kabinette der vier neuen Minister mit ÖVP-nahem Personal besetzt und die Kabinettchefs unter anderem aus dem Kanzleramt, dem Parlamentsklub oder dem Wirtschaftsressort gestellt.
Keine umstrittenen Maßnahmen
Politisch kontroversielle Dinge würden die neuen Regierungsmitglieder vermutlich nicht in Angriff nehmen. Zudem sei die Einstimmigkeit im Ministerrat weiterhin erforderlich, sagt Weiss. Er vermutet, dass die neuen Ressortchefs weiterfahren, was auf Schiene ist und in der Regel erlassene Verordnungen auch nicht mehr kippen. “Die Regierung wird sich sowohl in Sach- als auch in Personalfragen daran halten, keine Entscheidungen zu treffen, die weit in die nächste Amtszeit hineinwirken”, sagt der Ex-Minister.
Weitere Maßnahmen erfordern ohnehin eine Mehrheit im Nationalrat, die sich die Minderheitsregierung suchen müsste. Angesichts der aufgeheizten Stimmung werde das aber schwierig, vermutet Weiss. Möglich könnten noch unstrittige Maßnahmen sein, etwa Teile der Steuerreform: “Würde die FPÖ nicht zustimmen, bekäme sie Erklärungsbedarf.”
Misstrauensvotum mit Folgen
Eine erste Mehrheit könnte im Nationalrat am Montag zustande kommen. Die Liste Jetzt bringt einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler ein. SPÖ und FPÖ lassen bis dato offen, ob sie zustimmen werden. Tun sie das, verliert Kurz sein Amt. “Die größten Auswirkungen hätte dies vermutlich auf EU-Ebene. Da braucht man eine entsprechende Legitimation. Wer sie nicht hat, ist bei den zahlreichen Entscheidungen nach der EU-Wahl ziemlich abgemeldet”, meint der Ex-Minister. Auch wenn ein Routinier an Kurz’ Stelle treten würde: es bestünde immer der Verdacht, dass Österreich nur noch Leute auf Abruf schickt. Schließlich wisse dann niemand, wann das nächste Misstrauensvotum folge. VN-ebi