Ruf nach Entlastung

Politik / 16.06.2019 • 18:55 Uhr
Große Beschlüsse möchte die Beamtenregierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein keine fassen. Experten raten ihr aber, zumindest die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge vorzunehmen. APA
Große Beschlüsse möchte die Beamtenregierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein keine fassen. Experten raten ihr aber, zumindest die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge vorzunehmen. APA

Experten drängen auf eine Steuerreform mit 1. Jänner des kommenden Jahres.

WIEN Stark steigende Steuereinnahmen haben neben sinkenden Zinsen und ein paar anderen Dingen zu einer wahren Budgetsanierung geführt: 2018 haben Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen zusammen einen Überschuss von rund 400 Millionen Euro erreicht. Heuer und in den kommenden Jahren könnte es noch besser werden. 2021 wird es sich laut jüngster Prognose der Nationalbank um 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts handeln; das wären dann umgerechnet rund 2,1 Milliarden Euro.

Die alte Regierung hätte darauf reagiert und eine Steuerreform durchgeführt. Das ist jedoch Geschichte. ÖVP und FPÖ sind auseinandergegangen und haben das Projekt begraben. Immer mehr Experten drängen nun, zumindest Teile davon doch noch mit 1. Jänner des kommenden Jahres zu fixieren.

Kalte Progression wirkt

Die Budgetüberschüsse zeigen laut Martin Kocher, dem Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), wie groß die Steuerbelastung ist und wie stark auch die Kalte Progression wirkt. Die Überschüsse könnte man laut Kocher natürlich auch dazu nutzen, Schulden abzubauen. Allein: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gehen sie ohnehin schon sehr stark zurück. Womit es vernünftiger wäre, bei den Steuern anzusetzen.

Bleibt das Problem, dass Österreich zurzeit eine Beamtenregierung hat, die vor größeren Maßnahmen zurückschreckt. Was also tun? Margit Schratzenstaller, Steuerexpertin beim Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, meint, es sei grundsätzlich vernünftig, in Übergangszeiten wie diesen keine Beschlüsse zu fassen, die ins Geld gehen. „Auch wäre es nicht sinnvoll, vor der Wahl die gesamte Steuerreform zu fixieren, die von der bisherigen Regierung geplant worden ist. Das würde den Spielraum der nächsten Regierung reduzieren.“ Allerdings: „Eine Ausnahme davon wäre aufgrund der konjunkturellen Entwicklungen sinnvoll. Und zwar die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge mit 1. Jänner 2020. Davon würden gerade auch jene profitieren, die nicht in den Genuss des Familienbonus gekommen sind, der heuer in Kraft getreten ist.“

Die schwarz-blaue Regierung hätte die wichtigsten Vorbereitungen für einen solchen Schritt bereits gesetzt. Gesetzesvorlagen wären schnell gemacht. Die Krankenversicherungsbeiträge sollten den ursprünglichen Ankündigungen zufolge um 900 Millionen Euro gesenkt werden: „Angesichts der Überschüsse ist der budgetäre Spielraum dafür jedenfalls gegeben“, wie Schratzenstaller betont.

Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny würde noch einen Schritt weitergehen. Demnach sollte nicht nur eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge unter Dach und Fach gebracht werden, sondern auch des untersten Einkommensteuersatzes (von 25 auf 20 Prozent). Alles in allem würde das den Konsum befeuern bzw. die Konjunktur stützen.

“Mehrjähriges Konzept”

An einer Entlastung führt auch für IHS-Chef Martin Kocher kein Weg vorbei. Zu hoch ist die Steuer- und Abgabenquote im internationalen Vergleich. Kocher sieht zeitlich jedoch einen gewissen Spielraum: „Letztlich spielt es keine große Rolle, ob man das ein paar Monate früher oder später beschließt.“ Er tendiere eher dazu, das der nächsten Regierung zu überlassen, damit das auch in ein mehrjähriges Konzept hineinpasst. Abgesehen davon wäre es ja auch möglich, Maßnahmen zum Beispiel Anfang des kommenden Jahres zu beschließen, aber rückwirkend mit 1. Jänner in Kraft setzen zu lassen.