Peter Schröder

Kommentar

Peter Schröder

Katastrophen-Verdrängen

Politik / 08.09.2019 • 18:29 Uhr

In der Politik ist wieder einmal ein menschliches Phänomen zu besichtigen: Es kriselt, kracht und brennt praktisch überall. Da gibt es haufenweise drohende und schon eingetretene Katastrophen sowie veritable Kriegs- und Weltuntergangsgefahren. Doch mit schöner Regelmäßigkeit geraten die Kalamitäten nach relativ kurzer Zeit medial und persönlich weitgehend in Vergessenheit. Verdrängt nach Johann Straus, Fledermaus-Operette: “Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist”?

Fragen wir doch mal: Wen bringt das paranoide Kasperle-Theater von US-Präsident Donald Trump, sein derangiertes Flirten mit Kreml-Chef Putin und dessen in fremden Ländern Demokratie-Zerhacken noch um den Schlaf? Oder die Washingtoner Liebesschwüre für den nordkoreanischen Steinzeit-Despoten Kim Jong-Un mit seiner Atomraketen-Bastelei? Wer will noch etwas vom Trump-Amoklauf  in der zu einer Weltwirtschaftskrise mit globalem Elend führenden Wirtschaftspolitik hören? Oder von der Ermunterung für den geisterfahrenden britischen Chaoten-Premier zum “hart bleiben” beim Brexit, der den Zusammenhalt der EU-Gemeinschaft gefährdet?

Verhallt ist auch der Aufschrei über die russische Krim-Annektierung, den Krieg in der Ukraine, und die saudischen Kriegsverbrechen in Somalia. Was ist auch mit der Angst vor den “Terroristen”-Horden passiert? Von der “Überfremdung des Abendlandes” ist außer am rechtspopulistischen Politiker-Rand ebenfalls nicht mehr groß die Rede. Außerdem gibt es haufenweise Rekord-Hitzewellen, Überschwemmungen, Trockenkatastrophen und gigantische Brandkatstrophen – zu Hause, in Südamerika und anderswo. Das laute Stöhnen und ein bisschen Gruseln darüber ebbt schon wieder ab.

Ja, das hat etwas mit dem von Menschen verbrochenen Klimawandel zu tun, haben wir gehört. Aber wo ist der Aufschrei von Millionen? Und wo  das nachdrückliche Verlangen, etwas zum Verhindern drohender Total-Katastrophe zu tun? Politiker versprechen uns, wirklich Nützliches praktisch oder diplomatisch in die Wege zu leiten. Und schon verschwinden die Sorgen in unseren mentalen Ablageschubladen.

All das verdrängende Abschalten und das selbstbetrügerische “es wird schon so schlimm nicht werden” mag ja Selbstschutz sein. Aber nachweislich funktioniert das nicht und es verhindert auch nichts. In den 30er Jahren gab es den Selbstbetrug schon mal und führte zu einer nicht-verhinderten genoziden Untergangskatastrophe. Haben wir daraus nichts gelernt? Beispielsweise zu erkennen, was tatsächlich ist, aufzustehen, zu fordern, zu handeln, und – wo es Not tut – Widerstand gegen Katastrophen-Architekten zu leisten? Viel Zeit zum Aufwachen ist nicht mehr.