Neue Sozialhilfe? Noch nicht.

Bis Jahresende müssten die Länder die Reformweichen stellen. Die meisten lassen sich Zeit.
Wien Die Mindestsicherung sollte eigentlich bald Sozialhilfe heißen. Das dazu beschlossene Grundsatzgesetz stammt noch aus türkis-blauen Zeiten. Den Bundesländern wurde damit auferlegt, bis Jahresende die gesetzlichen Weichen für die neue Sozialhilfe zu stellen. Getan haben das bisher nur Ober- und Niederösterreich. Wie ein VN-Rundruf zeigt, wollen die anderen Länder das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) abwarten. Die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) hält es aus Länderperspektive für wenig sinnvoll, dem Höchstgericht zuvorzukommen. Außerdem wolle sie der künftigen Bundesregierung nichts vorwegnehmen: „Da zeichnen sich maßgebliche Veränderungen ab.“ Am liebsten bliebe die Landesrätin beim Vorarlberger Modell. Die Zahlen entwickelten sich gut.
Das neue Grundsatzgesetz brächte eine völlige Systemumstellung, ist Wiesflecker überzeugt. Sie bezweifelt, dass alle Vorgaben darin verfassungskonform sind. Die SPÖ hat ebenso Bedenken. Im Juli brachten 21 ihrer Bundesräte eine Beschwerde ein. Sie kritisieren das Gesetz in neun Punkten als verfassungswidrig, unter anderem bemängeln sie, dass die Sozialhilfe mit Sprachkenntnissen verknüpft wird oder der Höchstsatz für Kinder mit jedem weiteren Kind sinkt. Der VfGH wird den SPÖ-Antrag kommende Woche behandeln. Der Fall stand bereits im Oktober auf der Tagesordnung.
Knapp die Hälfte aus Österreich
In Vorarlberg beziehen 6765 Personen in 2678 Haushalten die Mindestsicherung (Stand September 2019). Gemessen an der Gesamtbevölkerung Vorarlbergs sind das in etwa 1,7 Prozent, berichtet Wiesflecker. 960 der 2678 Haushalte beziehungsweise 2838 der 6765 Bezieher haben Asyl- oder subsidiären Schutzstatus. Knapp die Hälfte der Bezieher besitzt einen österreichischen Pass.
6,2 Monate in der Sozialhilfe
Im Vergleich zum Vorjahr sinken die Zahlen: 437 Personen oder 234 Haushalte weniger bekommen Mindestsicherung. Die Maßnahmen, die man gesetzt habe, von Sprachkursen bis Arbeitsmarktprojekten, würden wirken, sagt Wiesflecker: „Hinzu kommt, dass wir nach wie vor einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt haben.“ Die Vorarlberger Betriebe seien engagiert, auch Flüchtlinge aufzunehmen.
Asylberechtigte in der Mindestsicherung sind in der Regel sogenannte Vollbezieher, da sie als Asylwerbende noch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten. Über die Hälfte der Haushalte mit Mindestsicherung verfügt hingegen über ein eigenes Einkommen aus Voll- und Teilzeitarbeit, einem AMS-Bezug oder einer Pension. Durchschnittlich wird die Sozialhilfe in Vorarlberg 6,2 Monate lang bezogen, österreichweit 8,5 Monate. „Das zeigt: Unser Modell funktioniert“, sagt Wiesflecker. Ob es in den Koalitionsverhandlungen von ÖVP und Grüne dazu rote Linien gibt, lässt die Landesrätin offen. Die Sozialhilfe werde aber sicher ein Bereich, „wo man vermutlich nur schwer Annäherungen schaffen wird.“ Wiesflecker ist Grüne Verhandlerin im Bereich „Soziale Sicherheit“.
„So lange sich keiner rührt“
Was geschieht, wenn ein Bundesland die Frist für die neue Sozialhilfe verstreichen lässt und bis Jahresende kein Ausführungsgesetz erlässt? „So lange sich keiner rührt, nichts“, sagt Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Die Kompetenz gehe auf den Bund über, der ein eigenes Gesetz erlassen könnte. Davon ist nicht auszugehen. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass die Übergangsregierung oder ein Drittel der Vorarlberger Landtagsabgeordneten das bestehende Landesgesetz anfechten wird. Sie könnten das tun. Im Landtag ist aber nur die FPÖ gegen das Vorarlberger Modell.
Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz legt Höchstgrenzen fest. Demnach darf die monatliche Sozialhilfe künftig maximal 885 Euro betragen. Für Paare gibt es 1240 Euro. Ein Wohnkostenzuschlag von 30 Prozent ist möglich. Wer keinen Pflichtschulabschluss hat oder nicht ausreichend Deutsch spricht (B1-Niveau), bekommt 300 Euro weniger. Auch Familien mit mehreren Kindern müssen Einschnitte hinnehmen. Menschen mit Behinderung erhalten zusätzlich 160 Euro. Die Länder dürfen auch Alleinerziehenden mehr bezahlen. Leben mehrere Sozialhilfebezieher in einer WG oder einem Grundversorgungsquartier, gibt es einen Deckel bei 1550 Euro.






