VN-Stammtisch mit Kanzler: “Zumindest Urlaub in Österreich möglich”

Wien, Rankweil Für eine Grenzregion wie Vorarlberg ist die Reisefreiheit ein maßgebliches Thema. Das hat sich auch beim digitalen VN-Stammtisch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gezeigt. Stellvertretend für die Leser stellte Chefredakteur Gerold Riedmann die Fragen. Unter anderem, ob Hochzeiten im August stattfinden können, welche Rolle Corona-Genesene im Kampf gegen das Virus spielen könnten und wann es wieder Reisefreiheit geben wird.

Herr Bundeskanzler, wie weit sind wir im Kampf gegen das Coronavirus schon gekommen?

Wir stehen besser da als andere Länder, sowohl wirtschaftlich als auch humanitär. Aber wir sind noch nicht über den Berg. Die Gefahr ist nicht gebannt. Alle müssen weiterhin ihren Beitrag leisten.

Ab wann werden wir wieder reisen oder einfach über die Grenze können?

Das Coronavirus wird uns noch monatelang beschäftigen. Wir müssen unser Verhalten adaptieren, so lange es kein wirksames Medikament oder keine Impfung gibt. Es wird also auch die nächsten Monate noch Einschränkungen geben. Das heißt nicht, dass die Reisefreiheit gar nicht stattfinden kann. Aber wenn sie das tut, dann nur unter gewissen Auflagen von Tests über Gesundheitszeugnisse bis Quarantänemaßnahmen. Die Situation, die wir bis jetzt kennen, wird sich aber in abgeschwächter Form fortsetzen.

Sind Grenzschließungen in einer Grenzregion wie Vorarlberg überhaupt sinnvoll?

Die Grenzschließungen gibt es, weil wir verhindern wollen, dass die Krankheit aus einem anderen Land importiert wird. Personen, die viel reisen, sind auch gefährdeter. Der internationale Austausch ist bei einem so hochansteckenden Virus besonders gefährlich.

Warum dürfen arbeitende Grenzgänger über die Grenzen, aber Familienangehörige nicht?

Wir mussten arbeitenden Grenzgängern erlauben, weiterhin über die Grenze zu kommen, da sonst die Versorgungssicherheit zusammengebrochen wäre. Wenn keine Arbeitskräfte mehr aus Osteuropa kommen können, haben wir ein massives Problem in der Pflege, in der 24-Stunden-Betreuung und in der Logistik. In manchen Logistikzentren mussten ja schon Soldaten einspringen. In weiterer Folge wollen wir nun Lösungen für jene Menschen finden, die aufgrund familiärer Beziehungen die Notwendigkeit haben, über die Grenzen zu reisen. Ich bitte aber um Verständnis, dass das nicht von heute auf morgen funktionieren kann, weil es nicht alleine in unserer Hand liegt, sondern beide Seiten wollen müssen. Vor allem ist es notwendig, dass sich die Krankheit in den Ländern ähnlich entwickelt. Wir haben schneller als andere agiert und daher eine bessere Situation. Das wollen wir durch den Grenzverkehr nicht wieder verschlechtern.

Wie realistisch ist es, dass wir Ende Juli zum Heiraten nach Las Vegas fliegen können?

Ich will als Kanzler nicht immer der Überbringer schlechter Nachrichten sein. Derzeit haben Sie keine Möglichkeit, in die USA zu reisen. Wie es im August aussehen wird, ist schwer vorherzusagen. Die Hoffnung lebt, aber Garantie kann ich keine geben. Die USA sind derzeit das am stärksten betroffene Land und ich weiß nicht, wie gut sie es schaffen werden, das Virus unter Kontrolle zu bringen.

Es kann sehr leicht sein, dass es notwendig wird, das Veranstaltungsverbot, das derzeit bis Ende Juni gilt, bis inklusive August auszudehnen.

Sebastian Kurz, Bundeskanzler

Was bedeutet es, im kleinsten Rahmen zu heiraten?

Das bedeutet, dass Hochzeiten bis inklusive Juni nicht möglich sein werden, außer sie finden im kleinsten Rahmen mit maximal zehn Personen statt.

Wie sieht es mit privaten Festen, größeren Anlässen oder Veranstaltungen im August aus?

Ich wäre mit der Planung im Moment eher vorsichtig und zurückhaltend. Ende April werden wir die Entscheidung treffen, wie es mit Veranstaltungen für den Sommer weitergeht. Es kann sehr leicht sein, dass es notwendig wird, das Veranstaltungsverbot, das derzeit bis Ende Juni gilt, bis inklusive August auszudehnen.

Muss ich meine Familienfeier Anfang Mai absagen?

Leider Gottes. Mein Vater hat Anfang Mai seinen 70. Geburtstag. Er hat die Feier absagen müssen.

Welche Rolle können bereits Genesene im Wiederaufbau der Wirtschaft spielen? Welche Information haben Sie zur Immunisierung?

Für den Wiederaufbau der Wirtschaft würde ich die Rolle der Genesenen nicht überbewerten, weil maximal ein Prozent der Österreicher die Krankheit bereits hatte. Die Genesenen können aber mit Blutplasmaspenden helfen, da es hier gute Erfahrungswerte gibt, dass sie damit die Situation von Kranken verbessern können. Ob sich Personen ein zweites Mal mit Corona infizieren können, ist leider noch nicht ganz klar. Es gibt die Theorie: Wer es einmal hatte, ist immun. Aber es mehren sich die Berichte aus Asien, wo sich Menschen angeblich ein zweites Mal angesteckt haben.

Wie bewerten Sie den erneuten Shutdown, die zweite Coronawelle in Singapur?

Das ist ein Rückschlag, weil Singapur eines der strengsten und diszipliniertesten Länder der Welt ist und Maßnahmen gesetzt hat, die für Europa unvorstellbar sind. Singapur hatte die Grenze zu Malaysien nur einige Stunden geöffnet, um Gastarbeiter auszutauschen, und schon hat sich die Krankheit wieder verbreitet. Das ist eine schlechte Nachricht und lässt darauf schließen, dass es auch für uns schwierig wird, die Krankheit auszulöschen. Unser Ziel muss also sein, das Virus in Schach zu halten, nach dem Motto: so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkungen wie notwendig. Es kann in den kommenden Monaten also sein, dass wir zwei Schritte nach vor und wieder einen zurück machen müssen.

Um welche Branchen werden Sie sich aufgrund der Coronakrise speziell kümmern müssen?

Alle Branchen leiden. Von der Industrie bis zum Handel. Mittelfristig werden aber sicherlich die Reisebranche und der Tourismus stärker betroffen sein als andere. Meine Hoffnung ist, dass im Sommer zumindest Urlaub in Österreich möglich ist. Das wäre wichtig, weil knapp 15 Prozent des BIP in Österreich vom Tourismus kommen. Es gibt aber auch andere Branchen, die stark betroffen sind, etwa im Veranstaltungs- und Kulturbereich.

Wie wird Ihr Osterwochenende aussehen?

Ich habe mit meinem Team im Bundeskanzleramt genug zu tun, werde mir aber sicher ein paar Stunden nehmen, um Zeit mit meiner Freundin zu verbringen. Ich tue das, worum ich die Bevölkerung bitte: keine Familienfeiern, keine Freunde treffen. Das ist absolut notwendig in Zeiten wie diesen, damit wir in Zukunft noch oft Ostern mit unseren Liebsten feiern können.