Experte: Darum sind Grenzschließungen sinnlos

Politik / 12.05.2020 • 06:00 Uhr
Experte: Darum sind Grenzschließungen sinnlos
Ein deutscher Polizist kontrolliert an der Grenze zu Österreich. AFP

Public Health-Experte Armin Fidler sieht keinen Nutzen in den derzeitigen Kontrollen.

Bregenz Im Bodenseeraum herrscht ein strenges Grenzregime. Das diene der Eindämmung von Covid19, sagen verantwortliche Politiker. Aus heutiger und vor allem epidemiologischer Sicht könnte man darauf verzichten, meint Armin Fidler, Public Health-Experte am MCI Innsbruck. Mitte März sei die Vorgangsweise wegen der unsicheren Lage vertretbar gewesen. Nun könne davon keine Rede mehr sein. Im Gegenteil. „Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind katastrophal.“

Public Health-Experte Armin Fidler.
Public Health-Experte Armin Fidler.

Nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gebe es zwei sinnvolle Gründe für Grenzschließungen, erläutert der Experte für öffentliche Gesundheit. Einerseits könne ein starker epidemiologischer Unterschied zwischen zwei Ländern bestehen. Im Falle der Grenzkontrollen zwischen Österreich und Italien lasse sich beispielsweise mit den höheren Infektions- und Todeszahlen in dem südlichen Nachbarland argumentieren.

Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind katastrophal

Armin Fidler, Public Health-Experte am MCI Innsbruck.

Einen zweiten möglichen Grund sieht Fidler in unterschiedlichen Strategien. Der Experte nennt als Beispiel Schweden, das anders verfahre als Österreich. Im hypothetischen Fall, dass Österreich an Schweden angrenzen würde, wäre ein strenges Grenzmanagement also vertretbar. Nicht so in allen anderen Fällen. „Grenzschließungen zwischen Österreich und seinen Nachbarn Deutschland, Schweiz, Slowenien, Ungarn, Slowakei und Tschechien sind völlig sinnlos“, bekräftigt der ehemalige Experte der WHO und der Weltbank. Das epidemiologische Geschehen sei vergleichbar, der Peak, also der Höchststand an Infektionen, überschritten. Die Länder befänden sich nun in derselben Containment-Phase. Conainment bedeutet die Identifizierung und Isoloierung von neuen Fällen sowie deren Kontaktpersonen.

Rechtliche Dimension

Abgesehen von den gesundheitlichen Aspekten verweist Fidler auch auf eine rechtliche Dimension. Alle genannten Staaten gehören dem Schengenraum an, der eigentlich Reisefreiheit vorsieht. Nach diesen Bestimmungen darf eine Grenze kontrolliert werden, wenn die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit ernsthaft bedroht sind. Doch die Bestimmungen müssten temporär und verhältnismäßig sein. „Damit kann man nicht mehr argumentieren.“ So kontrolliere Deutschland nur an manchen Grenzen streng, jene zu den Niederlanden und zu Belgien bleiben aber offen. Und das, obwohl Belgien eine der höchsten Todesraten weltweit habe.

Tatsächlich sind die Rufe nach Grenzöffnungen in den vergangenen Tagen immer lauter geworden. Wie die deutsche „TZ“ berichtete, kamen am vergangenen Donnerstag im Salzburger Oberndorf rund 80 Menschen zusammen, um mit Grablichtern, Fackeln und leuchtenden Handydisplays gegen die strengen Kontrollen zu protestieren. Im Blick hatten sie dabei die bayerische Stadt Laufen auf der anderen Uferseite der Salzach. Auch an Grenzübergängen zwischen Deutschland und Frankreich sowie Luxemburg war es bereits zu friedlichen Protesten gekommen.

Zügige Öffnung wünschenswert

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) brachte erst jüngst eine mögliche Einigung mit den Nachbarländern Deutschland und Tschechien ins Spiel, ebenso pocht Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Waller (ÖVP)  auf offene Grenzen (die VN berichteten). In Deutschland stellten sich mehrere Abgeordnete der regierenden Union gegen die Vorgangsweise von Innenminister Horst Seehofer (CSU), der die Kontrollen bis mindestens 15. Mai aufrechterhalten will. Am Montag hieß es nach Beratungen der CDU-Spitze, dass eine zügige Öffnung der Grenzen zu den Nachbarländern wünschenswert sei. Entsprechende Sicherheitsstandards müssten aber eingehalten werden. Über das weitere Vorgehen soll in den nächsten Tagen entschieden werden.