Ausweitung der Kampfzone
Herr Strache steht mit potenzsteigernden Medikamenten, auf Parteikosten beglichen (danach von seinem Mandanten bezahlt, sagt Straches Anwalt), am Titelblatt eines Boulevardblatts. Frau Bierlein fährt mit 0,8 Promille Auto, verliert ihren Führerschein und kann das umgehend in der Zeitung nachlesen. In den vergangenen Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Fälle von Leuten aus der Politikwelt bekannt werden, die mit kleineren bis großen Entgleisungen oder Fehlverhalten in diversen Medien landen. Bis hin zum Bundespräsidenten und der Sperrstunde, Sie erinnern sich.
Medienethisch betrachtet gibt es nicht immer ein einfaches „Richtig“ oder „Falsch“, aber doch die grundlegende Verpflichtung für Berichterstattende, ihre Handlungen ernsthaft zu überdenken und zu hinterfragen. Man muss jeden Fall, jede Veröffentlichung natürlich differenziert betrachten und diskutieren: Der gefallene FPÖ-Chef Strache ist trotz Ibiza-Skandal unverdrossen mit neuer Partei wieder Wahlwerber in Wien und damit doch eine Person von öffentlichem Interesse; die ehemalige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ist in Pension, strebt kein Amt an und ist damit nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Doch diese beiden unterschiedlichen Fälle eint, dass hier der höchstpersönliche Lebensbereich der Personen verletzt wurde.
Wo ist die Relevanz?
Wir erleben derzeit eine Ausweitung der Kampfzone und eine teilweise Neuinterpretation des Persönlichkeitsschutzes. Diese Entwicklung ist unschön, egal, wen sie trifft, sie öffnet die Tür für alles und jedes. Und die große Frage bleibt meist unbeantwortet: Wo ist die Relevanz solcher Veröffentlichungen, abseits von Klicks, Aufmerksamkeit und der Befriedigung der – leider zutiefst menschlichen – Sensationslust?
Wir erleben derzeit in Medien eine Ausweitung der Kampfzone und eine teilweise Neuinterpretation des Persönlichkeitsschutzes.
Während etwa britische Boulevardmedien schon lange mit all diesen Mitteln arbeiten, galt in Österreich das Private von Menschen aus dem Politikgeschäft bisher auch weitgehend als privat, mit wenigen Ausnahmen. Die österreichische Politik kann sicher mehr Transparenz vertragen, etwa in der Parteienfinanzierung – aber nicht, wenn es im Leben ihrer Protagonisten und Protagonistinnen um Sexualität, Drogen-, Alkohol-Erkrankungen oder Kinder geht, die etwas angestellt haben.
Medien sollten sich als wichtiges Korrektiv in der Demokratie nicht von jener Sogwirkung mitreißen lassen, die durch die Schnelligkeit der digitalen Welt und den großen Einfluss der Social Media-Kanäle längst entstanden ist. Die Verführungen sind groß: Wenn man jemand nicht anders drankriegen kann, zum Beispiel strafrechtlich, dann kann man ihn zumindest öffentlich beschämen und beschädigen. In diesem Spiel ist mit Verlusten zu rechnen. Am Ende nicht nur für die „da oben“.
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