Keine Ausreden
Eine kleine Rechnung: Gut zehn Seiten umfassen die Forderungen jener fünf Volksbegehren, die aktuell unterstützt werden können. Das kostet Sie ca. 15 Minuten Lesezeit. Hinzu kommt wahrscheinlich ein Vielfaches an Bedenkzeit, vielleicht die ein oder andere Diskussion. Dann fällen Sie eine Entscheidung: Unterschreiben oder nicht? Es folgt der Gang auf die Gemeinde (braucht Zeit) oder die Unterstützung online (braucht eine Handysignatur), und Sie haben als Bürger Ihre Meinung kundgetan. In Summe kostet direkte Demokratie einiges an Lebenszeit.
Da stellt sich die zweite Frage: Lohnt es sich überhaupt? Sind Volksbegehren denn kein zahn- und wirkungsloses Instrument? Jein. Anliegen werden unabhängig von den gesammelten Unterschriften nach kurzer parlamentarischer Debatte von der regierenden Mehrheit meist schubladisiert. So geschehen bei „Don’t smoke“ von Türkis-Blau. Gleichzeitig sensibilisierte die öffentliche Diskussion viele Bürger, und die ÖVP verbot – nach Platzen der Koalition – mit allen anderen Parteien das Rauchen in Lokalen.
Die Mühe lohnt sich also. Erstens, weil wir in einer Demokratie laufend gefragt sind uns Meinungen zu bilden. Zweitens, weil der dadurch entstehende öffentliche Druck manchmal erst zeitverzögert bei den politischen Entscheidern ankommt. Drittens, weil Volksbegehren als einziges Instrument von der Bevölkerung direkt gestartet werden können. Daher ist es auch nicht unbedingt im Sinne der Erfinder, wenn politische Parteien diese unterstützen. Politiker sollen zu den Anliegen im Parlament Stellung beziehen. Und es ist ihnen dringend empfohlen, dies auch mit entsprechendem Respekt und Wertschätzung zu tun.
Volksbegehren können als einziges Instrument von der Bevölkerung direkt gestartet werden.
Volksbegehren sind im Grunde eine Form der konstruktiven Kritik. Manche Forderungen mögen nicht den eigenen Wünschen entsprechen, manche scheinen zu polemisch argumentiert. Aber sie kanalisieren immer Unzufriedenheit und schlagen Verbesserungen vor. Die Unruhen von Stuttgart zeigen, welche Folgen eine fehlende persönliche Perspektive gepaart mit mangelndem politischen Einfluss bei einer Gruppe auslösen kann. Die Aggression und Verzweiflung der Jugend als Corona-Verlierer kulminierte hier in Straßenschlachten, weil sie keine andere Möglichkeit der Meinungsäußerung sahen.
Bilden Sie sich also ein Urteil, diskutieren Sie darüber und unterschreiben Sie – oder auch nicht. An Auswahl mangelt es jedenfalls nicht: Neun weitere Volksbegehren im Einleitungsverfahren stehen zusätzlich aktuell zur Auswahl. Hier zählt Ihre Unterschrift sogar doppelt. Sie wünschen sich mehr Möglichkeiten im Rahmen der direkten Demokratie? Starten Sie doch ein Volksbegehren oder gründen Sie eine Partei! Es gibt keine Ausreden dafür, in der Demokratie untätig zu bleiben.
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