Biden contra Brexit
Die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien dümpeln vor sich hin – doch die Uhr tickt erbarmungslos: In zwei Monaten endet die Übergangszeit, in zwei Wochen läuft die Frist für die Ratifizierung des Brexit-Vertrags unwiderruflich ab – doch der allseits gefürchtete No-Deal-Brexit, der vertraglose Ausstieg des Königreichs aus der Union, wird immer wahrscheinlicher. Die zwei Stolpersteine sind noch immer nicht beseitigt: Die Gefahr einer neuen „harten“ Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Ulster sowie der schwelende Krieg um Fischereirechte. Bei einem No-Deal würde den europäischen Fischern der Zugang zu den ertragreicheren britischen Fischgründen versperrt – umgekehrt könnten die britischen Fischer, die 70 Prozent ihrer Fische in der EU verkaufen, ihren Fang nicht mehr zollfrei auf dem europäischen Markt absetzen.
Spielt der britische Premier Boris Johnson – eine Spielernatur, ein politischer Gambler – auf Zeit? Manche glauben, dass er die amerikanischen Wahlen am 3. November abwartet. Die Demokraten betrachten Johnson mit seinem Nahverhältnis zu Donald Trump mit Misstrauen – Letzterer hatte seinen britischen Kollegen einmal als „Britain Trump“ bezeichnet, ob Johnson dies als Kompliment auffasste, ist nicht überliefert. Aus der Perspektive der Demokraten ist er jedenfalls alles andere als politisch korrekt – vor allem im Lichte der „Black lives matter“ – Bewegung: Als der damalige Präsident Obama im Jahr 2016 Winston Churchills Büste aus dem Oval Office entfernen ließ, führte Johnson dies darauf zurück, dass Obama „teilweise kenianische Ursprünge“ habe.
Johnson träumt noch immer von einem Wahlsieg Trumps.
Die Vereinigten Staaten haben in der „Special Relationship“ engere militärische Bindungen an Großbritannien als an jeden anderen Verbündeten. Boris Johnson träumt noch immer von einem Wahlsieg Trumps – denn dann wäre ein amerikanisch-britisches Handelsabkommen als Ersatz für den Freihandel mit der EU denkbar. Trump, der jede Schwächung der EU förderte, war ein dezidierter Befürworter des Brexit – Biden hingegen ist ein ebenso entschlossener Gegner des britischen EU-Austritts. Die USA unter Biden würden direkt mit der EU unter Umgehung Londons verkehren; Großbritannien wird seine Rolle als Brücke zwischen den USA und der EU einbüßen – und entsprechend an globaler Bedeutung verlieren. Vor allem aber legt Biden großen Wert auf seine anglo-irischen Ursprünge („Fünf Achtel Ire“), und er würde sich vehement jeder Gefährdung des anglo-irischen „Karfreitagsabkommens“ vom April 1998 widersetzen. Doch genau dies könnte geschehen, wenn Johnson einen No-Deal nicht verhindert.
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