Wehret den Anfängen!
Das Bild vom Sturm aufs US-Kapitol ging um die Welt. Ein tätowierter Mann, Fellmütze mit Büffelhörnern, Kriegsbemalung, in der rechten Hand einen Speer mit US-Flagge. Er heißt Jake Angeli, ein Verschwörungstheoretiker und vor allem: Anhänger von QAnon. Diese Organisation behauptet, die USA würden von einer kriminellen und satanischen Organisation beherrscht, die von Donald Trump bekämpft werde. Viele ihrer Botschaften sind rechtsradikal und antisemitisch. Nun kann man darüber diskutieren, ob man denn solchen Leuten die Ehre einer massenhaften Verbreitung ihrer Fotos angedeihen lassen soll. Ich halte die Bilder für entlarvend. Sie machen einsichtig, worum es geht. Angeli hat auf offener Brust ein Runenzeichen, das von Neonazis getragen wird. Viele Anhänger von QAnon sind gewaltbereit, siehe die Baseballschläger und Messer, die der von Angeli angeführte Mob bei sich getragen hat, als er etwa die Kameras des ZDF zertrümmert hat. Haben Sie sich über diese Bilder empört? Zu Recht. Sie sollten dabei aber nicht vergessen, dass die Organisation sich in der Pandemie über den gesamten Erdball verbreitet hat, von Melbourne bis Berlin. Auch bei uns sind die Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen stark von QAnon getragen. In Graz hat ein Demonstrant einen dem Judenstern der Nazis nachempfundenen Aufhänger auf der Jacke getragen, Aufschrift „Nicht getestet“. Geeint sind die Demonstranten in ihrer Ablehnung von Massentests und einer „Impfpflicht“, die es zwar nicht gibt, die aber für sie den Tatbestand der Körperverletzung darstellt. Und in einem Hass auf die Politik generell.
„Auch bei uns sind die Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen stark von QAnon getragen.“
Doch es sind nicht nur diese Spinner, die das Vertrauen in die Impfung untergraben. Diese Woche ist in den Tageszeitungen „Kurier“ und „Österreich“ ein als „Offener Brief an die Bundesregierung“ getarntes Inserat von Gegnern der Corona-Maßnahmen erschienen. Darin werden Masken als „nutzlos und gesundheitsschädlich“ bezeichnet (erwiesenermaßen eine Falschbehauptung) – und die PCR-Tests und die angebliche „Zwangsimpfung“ kritisiert. „Ich halte Aufrufe dieser Art für gefährlich und fahrlässig“, meinte der Chefredakteur der Gratiszeitung „Heute“, Christian Nusser, der die Inserate abgelehnt hat. Die Chefredakteurin des „Kurier“, Martina Salomon, hat den Abdruck des Inserats mit der Meinungsfreiheit verteidigt und erntet, völlig zu Recht, in den sozialen Medien dafür eine breite Front der Ablehnung.
Soeben haben viele Schulen ein Schreiben von angeblichen Elternvertretern erhalten. Darin werden die Lehrer unter Androhung von Klagen aufgefordert, den Kindern keine Masken zu geben. Für die Klagsdrohung gibt es keine rechtliche Grundlage. Aber die Diktion der Schreiben zeugt von einer Radikalisierung der Diskussion.
„Principiis obsta“ („Wehret den Anfängen“), hat es der römische Schriftsteller Ovid formuliert. Das gilt 2.000 Jahre später noch immer. Deshalb werden jetzt auch bei uns, spät aber doch, Demos von sogenannten „Querdenkern“, also von amtsbekannten Rechtsextremen, in Wien Salzburg oder Graz verboten. Ausschlaggebend dafür ist ein Bericht des Verfassungsschutzes über geplante Gewaltakte bis hin zu Todesdrohungen gegen Politiker, Behörden oder Medien. Das Verbot hat nichts damit zu tun, dass ein für die Demokratie wichtiges Grundrecht, die Versammlungsfreiheit, eingeschränkt wird, denn das öffentliche Interesse, wie die Verhinderung von Gewalt, überwiegt eindeutig. Wehret den Anfängen!
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
Kommentar