Kalter Krieg – Teil 2
Im Herbst 1989 endete der Kalte Krieg – und die Europäer verhängten wegen des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in Peking ein Waffenembargo gegen China. 32 Jahre danach verhängt die EU – im Verein mit den USA, Kanada, Großbritannien und der Schweiz – erneut Sanktionen über China, und ebenfalls wegen Menschenrechtsverletzungen. China hat über eine Million muslimischer Uiguren in Xinjiang in „Umerziehungslager“ gesteckt, soll diese zur Zwangsarbeit, Sterilisation und Schlimmerem gezwungen haben. Nicht nur die USA sprechen von Genozid. Brüssel belegt vier Beamte, die dabei eine tragende Rolle gespielt haben, mit Einreise- und Kontensperren. Ein Boykott der Olympischen Winterspiele in China am 4. Februar 2022 steht im Raum.
Peking bestreitet die Existenz der Lager nicht, lediglich ihren Zweck – die Deradikalisierung von Islamisten. China schimpft über „Megafon-Diplomatie“, „Ignoranz“ und „Arroganz“ des Westens, lässt es aber bei Maßnahmen gegen zehn Personen und vier Institutionen bewenden – wohl um die Europäer nicht noch mehr in die gemeinsame Front mit den Amerikanern zu treiben. Und vor allem um die Wirtschaftsbeziehungen nicht zu gefährden. Die Chinesen operieren geschickt mit Zuckerbrot und Peitsche.
Es waren die Chinesen selbst, die das „K-Wort“ aufbrachten, als sie von einer „Kalter-Krieg Mentalität“ des Westens sprachen. Dass sich ein „Kalter Krieg Teil 2“ anbahnt, diesmal mit China und nicht mit der Sowjetunion als dem Kontrahenten, wird immer mehr zur Tatsache. Damals wie heute verbietet man sich unter Verweis auf das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten jede Kritik an Staatsterror und Menschenrechtsverletzungen. Vor 32 Jahren war China noch ein Entwicklungsland – heute wird es zusehends zur Großmacht. China praktiziert Cyber-Spionage gegen den Westen und dieser – USA, Europa, Japan und Südkorea – übt den Schulterschluss gegenüber dem erstarkenden China; die Briten stocken ihr Nuklear-Arsenal auf und schicken einen ihrer beiden brandneuen Flugzeugträger ins Südchinesische Meer. Hier weiß kaum jemand noch vom Boxeraufstand des Jahres 1900 gegen die Kolonialmächte und deren Kanonenboot-Politik, doch China hat ein langes Gedächtnis. Mit der Visite des russischen Außenministers Sergej Lawrow in China bahnt sich eine Front gegen den Westen an – zugleich machen die Chinesen Avancen in Saudi-Arabien, der Türkei und Iran, der Einfluss Pekings in Südostasien und Afrika nimmt stetig zu.
„Die Chinesen operieren geschickt mit Zuckerbrot und Peitsche.“
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).