Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Atemlos durch 40 Jahre Sommergespräche

Politik / 09.08.2021 • 19:00 Uhr

Der Herr Bundeskanzler sitzt entspannt im Garten seines Hauses im Burgenland, um ihn herum wuchert Efeu und der ORF-Interviewer stellt ihm ziemlich persönliche Fragen. „Ich zahle noch monatlich den Kredit fürs Haus ab“, sagt Fred Sinowatz und man sitzt leicht fassungslos vor diesem Filmdokument aus dem Jahr 1984. Ein Synonym für die Entspanntheit dieser Zeit, als der politmediale Betrieb noch nicht durchtrainiert und professionalisiert war – ein Kanzler, der bei den ORF-Sommergesprächen über seinen Hausbau und seinen Kredit plaudert, da würden heute die Berater in Ohnmacht fallen.

Die Politik-Sommerspiele des ORF haben wieder begonnen. Lou Lorenz-Dittlbacher spricht jetzt immer montags mit den Parteichefinnen und -chefs, diesmal über den Dächern der Wiener Innenstadt. 1981 hatte Peter Rabl die Idee, die Spitzen der Politik im August zu großen Interviews zu bitten, es waren in den ersten Jahren tatsächlich Gespräche mit sommerlicher Leichtigkeit. Ich habe zum diesjährigen 40-Jahre-Jubiläum das ORF-Archiv der Sommergespräche für eine zeitgeschichtliche Dokumentation durchforstet und dabei einige grundlegende Feststellungen über das Politikgeschäft treffen können – anhand der Zeitreise lässt sich ablesen, wie sehr sich die Welt in diesen vier Jahrzehnten verändert hat („40 Jahre Sommergespräche ­–Gelsen, Glocken und Gedanken“ kann man bis Donnerstag in der ORF-TVthek nachsehen).

Immer kürzere Zyklen

Am Anfang der großen Veränderung im Politikbetrieb steht der Aufstieg des Mediencoachings in den 1990-Jahren. Die trainierten Politiker und Politikerinnen agieren immer professioneller vor den Kameras. Sie machen allerdings auch manches nicht mehr mit, sie öffnen sich weniger, die Gespräche wirken dadurch oft normierter. Jörg Haider ist lange jener Parteichef, der mit der neuen Art der Performance am besten umgehen kann: Er sitzt betont lässig im Polo-Shirt am See oder auf der Alm, die wilden Sager genau vorbereitet.

Die Gesprächskultur verändert sich auch wegen der Beschleunigung, der alle im politmedialen Betrieb unterworfen sind.

Die Gesprächskultur verändert sich über die Jahre auch wegen der Beschleunigung, der man im politmedialen Betrieb unterworfen ist. Immer kürzere Zyklen, durch die alle atemlos hetzen, Politikpersonal und Medienleute. Die Kommentare auf Facebook, die ZiB2-Analyse, die Twitter-Analyse der Analyse, Redaktionsschluss ist immer oder nie. Und gerade deswegen ist heute der aufrichtige Versuch, ein politisches Gespräch im Zeichen der Entschleunigung zu führen, so wichtig. Oder wie es der Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin sagt: „Die Sommergespräche sind ein Anachronismus, aber das macht sie sympathisch.“ Beschleunigung haben wir ohnehin das ganze Jahr über.