Farbenspiel
Die gestrige Sondersitzung im Nationalrat warf ihre Schatten bereits auf das vorangegangene Wochenende. Durch seinen Rücktritt verhinderte Sebastian Kurz den Showdown mit einer möglichen zweiten Abwahl. Die anderen türkisen Minister wären gezwungen gewesen, entweder ihr Versprechen, mit ihm abzutreten, zu brechen oder die Verantwortung für Chaos und Neuwahlen zu übernehmen. Es galt also nicht nur, sein eigenes Gesicht zu wahren, sondern das seiner Partei.
Doch das Nervenspiel geht weiter. Die Freude der Grünen über ihren Erfolg, Bundeskanzler Kurz und sein Regierungsteam getrennt zu haben, war vermutlich von kurzer Dauer. Sofort mussten sie sich nicht nur mit einem mächtigen Klubobmann Kurz arrangieren, sondern ihn auch noch rechtfertigen. Dann präsentierte sich der untadelige neue Bundeskanzler in seinen ersten Wortmeldungen wiederholt als türkiser Verteidiger. Alexander Schallenberg hat wider Erwarten wenig diplomatisches Geschick bei seinen ersten Auftritten gezeigt. Sowohl die Wortwahl („neue Volkspartei“, „illegale Migration“) wie seine Aussagen („Ich bin überzeugt davon, dass sich am Ende des Tages herausstellen wird, dass an den Vorwürfen nichts dran war“) deuten nicht auf eine Absetzbewegung. Dass er die Anordnung der Hausdurchsuchung, übergeben von Neos-Chefin Meinl-Reisinger, rasch auf den Boden entsorgte, lieferte das passende TV-Bild dazu.
Die Emotionen gehen aber nicht nur zwischen Regierung und Opposition hoch, auch in der Koalition ist die gegenseitige Abneigung gewachsen. Dennoch gäbe es einigen Kitt für diese Regierung. Etwa den Beschluss des Budgets und damit die Finanzierung des Klimatickets. Die Umsetzung der bereits angekündigten und verhandelten ökosozialen Steuerreform und die weitere Bekämpfung der Pandemie über die Wintermonate. Darüber hinaus gilt es bis Jahresende das Sterbehilfegesetz zu novellieren, schleunigst eine Pflegereform und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel anzugehen. Ein ernsthaftes Bemühen um Transparenz in Parteienfinanzierung, Ausgaben der öffentlichen Hand und Medienförderung wäre ein zentraler Schritt zurück zu mehr Vertrauen der Bevölkerung.
Stattdessen wird wohl ein neuer U-Ausschuss die politische Debatte weiter polarisieren. Obwohl klar ist, dass alle Beschuldigten sich bei Befragungen entschlagen werden. Obwohl klar ist, dass sich die Staatsanwaltschaft durch den Ibiza-Ausschuss eher behindert fühlte. Doch der Klub ist nicht das einzige Machtzentrum der ÖVP. Interessant daher die Absetzbewegung der ÖVP-Landeshauptleute von ihrem Bundesparteichef. Schützenhöfer, Mikl-Leitner, Platter, Wallner, Stelzer und Haslauer entscheiden, ob Türkis als Modefarbe weiterhin dem politischen Spektrum erhalten bleibt oder wieder Schwarz en vogue wird.
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