Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Ohne Neid aus dem Lockdown

Politik / 14.12.2021 • 19:45 Uhr

„Fleckerlteppich“ hat das Potenzial zum Wort des Jahres. Durch die Kritik an den unterschiedlichen Regelungen bei der Beendigung des Lockdowns kommt die beliebte Billigvariante des Bodenbelags aber unverdient zu einem Negativimage. Wobei auch hier die Perspektive den Standpunkt bestimmt. Oder anders gesagt: Der Wohnort beeinflusst die Haltung zu regionalen Lösungen.

Erste Grundregel: Geographische und emotionale Distanz bedingen einander. Je weiter Wien entfernt ist, desto größer die Skepsis gegenüber zentralen Vorgaben. Die Ablehnung von Sonderregelungen konzentriert sich eher im Wiener Raum. Ein gewisses Unverständnis über das Aufsperren trotz hoher Inzidenz ist nachvollziehbar. Keineswegs sicher ist jedoch die Annahme, dass eine einheitliche Lösung auch für alle die beste ist. Wahrscheinlich wäre sie nicht einmal die bestmögliche für eine begrenzte Gruppe oder Region.

Zweite Grundregel: Für die Akzeptanz braucht es neben Erfolgsaussicht und Umsetzbarkeit auch Vertrauen. Wir kennen die Appelle: Einschränkungen müssen mitgetragen werden oder zumindest kontrollierbar sein. Da unterscheiden sich Stadt und Land, West und Ost. Landespolitiker genießen aber jedenfalls den Vorteil eines höheren Vertrauens in der Bevölkerung. Noch wichtiger ist die Eigenverantwortung der Politiker selbst. Kein Bundesland soll am Ende die Schuld Wien oder dem Gesundheitsminister übertragen können. Womöglich mit dem nachträglichen Zusatz, von Beginn an bessere Lösungen gekannt zu haben.

Kein Bundesland soll am Ende die Schuld Wien oder dem Gesundheitsminister übertragen können.

Dritte Grundregel: Der Alltag der Menschen ist weit weniger komplex als das Denken von Politik und Medien. Laut TU Wien betrug der tägliche Bewegungsradius vor der Coronavirus-Pandemie durchschnittlich 14 Kilometer. Die meisten Österreicher müssen also nicht alle Regelungen im Bundesgebiet kennen oder gar verstehen. Natürlich können wir Neiddebatten führen: Die Wiener über die Vorarlberger im Wirtshaus, die Oberösterreicher zu den Tirolern auf der Schipiste. Aber es bleibt – bis auf wenige Grenzregionen und Zweitwohnungsbesitzer – ein ohnehin theoretisches Angebot.

Politische Entscheidungen sind ohnehin immer „Fleckerlteppiche“, da sie Interessen, Wünsche, Anforderungen und Auswirkungen austarieren müssen. Neben gesundheitlichen Argumenten gilt es ebenso psychische, soziale, ja auch wirtschaftliche Effekte in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Tourismus spielt in manchen Regionen eine wichtigere Rolle als in anderen. Deshalb wäre es nicht richtig, wenn sich Spezialinteressen bundesweit durchsetzen. Kooperation und gegenseitige Lernbereitschaft sind aber Grundvoraussetzungen für einen gelingenden Föderalismus. Nur wenn die Regionen voneinander lernen, setzt sich am Ende die beste Lösung durch. Omikron wird genau das von uns fordern.