Wahrheitsgaukler
Politiker in allen möglichen Gegenden versprechen beim Amtsantritt regelmäßig und hoch und heilig, stets und ständig „der Wahrheit und der Klarheit verpflichtet“ zu sein. Um dann fortan ihre Geschäfte als verbaler Wackelpudding zu betreiben. Wie US-Präsident Joseph Biden, die Koryphäen seiner Regierung (plus irgendwie legitimierte Experten aller Himmelsrichtungen), die unlängst den Rest der Welt alarmierten, dass eine russische Invasion der Ukraine „imminent“, also unmittelbar bevorstehend sei.
Nachdem dann etliche Tage nichts dergleichen passierte und der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky vor „Panikmache“ gewarnt hatte, legten die Orakler von Washington einen applausfähigen Salto Mortale hin: Der vom Weißen Haus daraufhin (Stichtag 6. Februar) offiziell verbreiteten neuesten „Wahrheit“ zufolge ist ein russischer Angriffskrieg auf die Ukraine „jederzeit möglich“.
So ist das eben mit der oft von Politikern und Helfershelfern mit ihrer in alle Himmelsrichtungen interpretierbaren „Wahrheit“. Und mit der genauso dehnbaren Möglichkeit von diesem oder jenem ist ja auch nicht viel anzufangen. Denn „möglich“ und „imminent“ ist ja so ziemlich alles: Sogar dass jede und jeder von uns in den nächsten zwei Wochen vom Blitz getroffen wird oder den „Jackpot“ im Lotto kassiert.
Und nicht nur in der Weltpolitik und buchstäblich überall wird mit „Wahrheiten“ jongliert, mit denen man/frau wenig bis nichts anfangen und darauf auch nicht reagieren kann: Werden wir alle nicht seit mehr als zwei Jahren offiziell mit „hü und hott“, mit „kann sein oder auch nicht“, es geht „rauf“ und dann wieder „runter“, mit „es wird besser“ und „es wird schlimmer“ verunsichert?
Was wir bei offiziellen Hinweisen, Erklärungen, Warnungen und Anordnungen verlangen müssen, sind nicht nur sogenannte und schnell wechselnde Wahrheiten mit eingebautem Verfallsdatum, sondern Klarheiten. Dazu gehört im Bedarfsfall auch das Eingeständnis, Fehlentscheidungen getroffen zu haben und nicht mit Bestimmtheit sagen zu können, wie es weitergeht. Und die Empfänger solcher Klarheiten müssen sich darauf verlassen können, dass „die da oben“ nach bestem Wissen und Gewissen handeln und nicht zum politischen Punkte-Sammeln mal dieser und mal jener Interessengruppe nach dem Munde reden.
Wir brauchen keine Wahrheitsgaukler, wir brauchen ehrliche, mutige und vertrauenswürdige Klartext-Redner.
„Und mit der genauso dehnbaren Möglichkeit von diesem oder jenem ist ja auch nicht viel anzufangen.“
Peter W. Schroeder
berichtet aus Washington, redaktion@vn.at