„Never say never“
In London – das die Tageszeitung „The Guardian“ kürzlich als „Moskau an der Themse“ bezeichnete, wegen der substanziellen Investitionen russischer Oligarchen in britischen Medien und Unternehmen plus Parteispenden an die regierenden Konservativen (mit Sitz im House of Lords als kleine Anerkennung) – hier in London stehen die Zeichen auf Solidarität mit dem Opfer der russischen Aggression:
Die Bauten entlang der Themse und die Royal Opera erstrahlen in den blau-gelben Landesfarben der Ukraine und vor der Ouvertüre zu Verdis Rigoletto ertönte dort am Dienstagabend unter Applaus des Publikums die ukrainische Nationalhymne.
Doch hinter den Solidaritätsbekundungen und der unbeirrbaren Gelassenheit der Briten lauert die bange Frage: Was hat es mit der nuklearen Drohung Putins tatsächlich auf sich? „Mad Vlad Goes Nuklear“ verkündet die Schlagzeile des Massenblatts „The Sun“, aber auch die seriöseren Zeitungen machen dies zum Hauptthema. „Sag niemals nie“ lautet der Wahlspruch der Engländer – alles ist möglich, nichts auszuschließen. Stehen wir vor dem Abgrund des Dritten Weltkriegs?
Der Diktator Putin des 21. Jahrhunderts ist mit seinen Allmachtsfantasien und in seiner skrupellosen Brutalität mit den Diktatoren Hitler, Stalin und Mussolini des letzten Jahrhunderts vergleichbar. In die Enge gedrängt, und der Einmarsch in die Ukraine ist keineswegs der Sonntagspaziergang, den sich Putin erwartet hatte, sind derartige Paranoiker zu allem fähig. Zwar gibt es auch in Russland klar definierte Regeln zur Auslösung des ominösen „Roten Knopfes“, der sich in Händen der Militärs befindet, aber Putin ist berüchtigt dafür, dass er über Spitzenpolitiker und Offiziere hinwegfährt wie seine Panzer über die Ukraine. Russland verfügt über 5977 nukleare Sprengköpfe, das größte Arsenal der Welt und hinreichend um diese weitgehend zu vernichten. Im Kalten Krieg bewahrte uns das sinnigerweise als MAD-Doktrin (Mutually Assured Destruction, gegenseitig gewährleistete Vernichtung) bezeichnete „Gleichgewicht des Schreckens“. Doch Stanley Kubricks rabenschwarze Filmkomödie „Dr. Strangelove“ aus dem Jahr 1964, welche die Auslösung eines Nuklearkriegs durch einen durchgeknallten amerikanischen General namens Jack D. Ripper schildert, ist uns jenseits aller Komik als schreckliche Warnung in Erinnerung geblieben. Das Vertrauen auf rationales Verhalten der Entscheidungsträger könnte sich als Illusion erweisen. Never say never.
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